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Und die Moral von der Geschicht? Nein, bitte bloß nicht kalauern. Allerdings landet man in vielen Diskussionen an einem Punkt, an dem es heißt: „Du solltest dieses und jenes…“ oder in der verstärkten Variante gar „du sollst (nicht)“ oder „du musst“. Als halbwegs renitentem Burschen haben mich in meiner Kindheit derartige Kommandos stets aufs Mark genervt. Klar, welchem Menschen auf dem Weg ins Leben geht das nicht auch so? Grenzen erkunden, ausloten, von welchem Zeitpunkt an Erziehungsberechtigte oder Lehrer schlicht und ergreifend austicken – das bereitet schon ein enormes, wenn auch fragwürdiges Vergnügen.

Bertleby

Diese Form des Imperativs hat allerdings seine gewisse Berechtigung, wenn man vor dem Gesetz nur bedingt für sein Tun verantwortlich gemacht werden kann. Rahmen stecken diese lästigen Befehle ab, die später im besten Fall, zumindest, wenn es sich um Essentielles handelt, soweit verinnerlicht sind, dass man eben nicht mehr dieses oder jenes Übel bei anderen anrichtet. Dennoch regt sich in mir heute noch Widerwille, wenn mir bestimmte Formen der Überaufmerksamkeit eines Zeitgenossen mitteilen wollen, was zu tun oder zu lassen ist. Bestes Beispiel neulich.

Eskapismus ist nicht meine Sache

Eigentlich sollte ich mir vornehmen – da ist es also schon wieder, aber ein anderes Sollen, als das, was ich meine –, bestimmte Wege nicht mehr zu gehen. Jedenfalls nicht zur Mittagszeit. Denn immer, wenn die Sonne scheint, begegne ich G. auf der belebten Flaniermeile. Und ja, da war er wieder, hielt ein Eis am Stiel und fragte mich schmatzend aus – wie es so seine Art ist. Mittlerweile habe ich ganz gut gelernt und gehe in der Regel nicht weiter darauf ein. Aber er dreht es immer wieder so hin, dass es mir zum Ende unbehaglich wird. Diesmal lockte er mich mit einer Preisgabe aus der Reserve. Ich erzählte von einem problematischen Kunden, der mich immer wieder mit recht radikalen Einstellungen über das Verhältnis zwischen Boss und und Angestellten auf die Probe stellt. Der ist ein alter Hardliner und wundert sich, dass vor allem für die Kommunikationsabteilung und den Empfang kein Personal nach seinen Vorstellungen bekommt. Ich dachte, das sei mal nicht das große Geheimnis, jedoch unterlief mir ein Fehler. Ich beklagte mich. „Du solltest mal einen Gedanken daran verschwenden, den Kunden loszuwerden.“ Ok, das war genau das, was ich nicht hören wollte. Denn so schlau, die Reißleine zu ziehen, ist wohl jeder, der auf ein Problem stößt. Aber Eskapismus ist nicht meine Sache.

Dennoch befand ich mich plötzlich in einem Käfig aus „Sollen“-Sätzen. Einerseits der Kunde, der seine Mitarbeiter nicht so behandeln soll, und ich werde einen Teufel tun, ihm Gebote aufzuerlegen. Darauf muss er schon selbst kommen. Aber zumindest sollte ich ihm die Chance geben. Und so lange er nach mir fragt, bin ich da. Und dann G. Nun gut. Ich schaute auf die Uhr, sagte ihm, natürlich nicht, dass er seine rhetorisch versteckten Kommandos lassen solle. Denn sonst käme ich niemals mehr an den Schreibtisch. Also irgendwie komme ich jedenfalls nicht umhin, intensiv über das Sollen nachzudenken. Daher habe ich beschlossen, Unterscheidungen zu ziehen. Da ist die Philosophie und ihre Teilwissenschaft Ethik, in der das Sollen über Jahrhunderte analysiert wird. Aber wir sind ja in der Anwendung, und da ist das Sollen, wie mich G. gelehrt hat, im Feld der Rhetorik angesiedelt. Also schärfe ich meine Sinne und analysiere, welche Absichtlichkeit sich in dieser Sprachgeste verbirgt. Wenn mich doch jemand mal darauf anspräche, wie ich das Sollen einsetze…