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Wenn ich ehrlich bin, muss ich ein paar grundsätzliche Dinge gestehen. Kommt etwa eine Kundenanfrage, gehe ich meist nach denselben Mechanismen vor. Es beginnt mit der Neugier. Wer ist das? Wie steht er an welchem Markt? Hinzu treten natürlich die ganzen Fakten, von denen ich im Allgemeinen annehme, dass ich sie zur Beurteilung eines Unternehmens und zu Einschätzung meiner anstehenden Arbeit benötige. Am Ende formiert sich ein Bild, das sich immer weiter ausgestaltet. Und dann frage ich mich, ob ich nicht schon viel zu viel weiß. Gibt es denn schon ein Storyboard zu den Skizzen in meinem Block? Aber habe ich eigentlich schon danach gefragt, was die Motivation ist, mit mir Kontakt aufzunehmen? Nun mag jeder schnell einwenden, dass man derartige Selbstverständlichkeiten nicht infrage stellen sollte. Basics der Information, damit man sich verständigen kann?

Der unverstellte Blick

Versteht sich jedoch ein derartiges Vorgehen tatsächlich von selbst? Neulich brachte mich L. auf einen spannenden Aspekt: Sie ist Kunsthistorikerin und hat während ihres Studiums gemäß der Devise: „Erst sehen, dann informieren“ gelernt. Da sie als Kritikerin arbeitet, wird sie mit vielen neuen, ihr bis dato unbekannten Stilen, Werken oder Künstlern konfrontiert. Sie sagt, sie lese grundsätzlich niemals die Presseverlautbarungen der Museen oder Kunstvereine. Es mache in den meisten Fällen überhaupt nichts aus, vorher nichts zu wissen. Im Gegenteil: Meist wäre sie vor der jeweiligen Veranstaltung dort und erarbeite sich regelrecht über dieses doch so indirekte Organ Auge die Sachverhalte und Fragen für die sich anschließende Konferenz. Vor allem mit Blick auf die ganz junge Kunst sei dies eine wunderbare Methode. Ihre Texte lese ich übrigens sehr gern, weil sie so unvoreingenommen und in keiner Weise besserwisserisch oder rechthaberisch sind, selbst wenn die Urteile, die sie fällt, bisweilen süßlich, oder – im Gegenteil – hart ausfallen.

Durch gezieltes Fragen das Erkennen ermöglichen

Indirekt habe ich daraus einen Schluss für meine Arbeit gezogen: Kunstkritiker müssen urteilen, damit diese Einschätzung dem Publikum als Entscheidungshilfe dient. In meinem Tätigkeitsfeld ist das natürlich etwas Anderes. Die Situation des Kritikers muss ich daher umstülpen und auf die eher innere oder interne Situation während der Arbeit anwenden. Dazu ist es erst einmal vollkommen egal, was ich über den Betrieb weiß. Wenn ich nur berücksichtige, dass ich nicht als eine Art Lehrmeister der Alten Schule auftauche. Genauso wie ich als Leser einer Zeitung etwa dem Urteil einer Kritikerin vertrauen kann, sollte mein Kunde Vertrauen in meine Fähigkeiten besitzen, aber ohne, dass ich sie in Form von Top-Down-Wissensvermittlung jemandem aufzupflanzen versuche.

Dialog statt Frontal-Vortrag

Daher verstehe ich mich als jemanden, der zumindest im Ansatz einer antiken Auffassung der Generierung von Erkenntnis folgt. Platon hat über sein „Medium“ Sokrates die Maieutik, die Hebammentechnik, unauslöschlich in die Philosophiegeschichte eingeschrieben. Simpel gesprochen macht die nichts Anderes, als durch gezieltes Fragen das Erkennen im Befragten selbst durch dessen Nachdenken über mögliche Antworten zu erzeugen. Sicher besitzt das auch schon einen „Geschmack“, aber die Struktur, angepasst ans Heute, ist meiner Meinung nach immer noch ein sehr erfolgreicher Weg. Sortiere ich dagegen als erstes meine Kunden in Schubladen und gebe ihnen dann noch Ratschläge, die sie nicht mitentwickelt haben, habe ich keine Gewähr, ob das, was ich unternehme, auch eine Wirkung zeitigt. Mein Bemühen gilt daher stets weniger meinen Bedürfnissen um Zuspruch oder Erfolg, sondern meinen Kunden. Dann kommen Erfolg und Zuspruch quasi von selbst, ohne dass ich sie einzufordern hätte: nämlich von innen heraus aus im Teamwork und im Dialog und nicht per Vortrag.