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Habe ich ihnen heute schon einen guten Tag gewünscht? Ja? Oh, schon vergessen. Kommt vor. Häufig sogar. Aber wissen sie was, es ist gar nicht schlimm, ihnen noch einmal einen guten Tag zu wünschen. Ich für meinen Teil freue mich über ein mehrfaches Aussprechen freundlicher Wünsche. So ein wiederholtes Wünschen deutet nämlich auf etwas hin, was eine auf Effizienz und Eindeutigkeit getrimmte Logik von Rechenmaschinen niemals hat, ganz gleich ob es sich um ihren PC, den intelligenten Fernseher oder ihr smartes Telefon handelt. Es ist Fülle und Überfülle.

Werte

Redundanz ist nun aber nicht gleich Redundanz. Das maschinelle Verhindern hat etwas mit Verdoppelung zutun. Klonen oder simples Kopieren wiederum sind eigentlich ziemlich fade Methoden, die eben kein Zuwachs erzeugen. Reichtum entsteht erst dann, wenn unter manchen Umständen ein bestimmter Sachverhalt in variierter Form auftritt. „Jeden Morgen bricht ein neuer Tag an, warum sollte man sich da stets mit dem Begrüßen wiederholen. Das langweilt doch?“ P. fragte mich das neulich in der Pause, und ich antwortete ihm provozierend: „Du rauchst doch immer dieselben Zigaretten. Hätte nicht eine einzige fürs gesamte Leben getan? Das wäre effizienter, ökonomischer und vor allem gesünder?“ Und dann fiel er in eine kurze Nachdenklichkeitspause, um mir sofort zu bestätigen, dass etwas Gleiches zu tun, durchaus nicht dasselbe sein muss. „Wir umkreisen mit unserem Denken und Tun die Dinge und Sachverhalte und verleihen ihnen immer wieder eine andere, wenn auch ähnliche Gestalt. Wir verwenden dieselben Sätze, aber variieren sie, während die Inhalte gleichbleiben.“ Manchmal sei es eine Frage der Perspektivität. P. erinnert: „Mir geht gerade dieses unglaubliche Streichquartett Nr. 2 des amerikanischen Komponisten Morton Feldman durch den Kopf. Es eine einzige ununterbrochene Bewegung im ganz Kleinen mit einer zeitlichen Ausdehnung von bis zu sieben Stunden, je nachdem wer es interpretiert.

Gemeinsam sinnstiftende Bezüge schaffen

Wie es so oft in der Kunst ist, lernt man mit ihr, die Sinne zu schärfen. Öffnet man sich dieser minimalistischen Musik, erhört man sich feinste Nuancen, und man bemerkt, dass sich der ungeheure Reichtum dieses Stücks eben nicht in seiner opulenten Zeitverschwendung erschöpft, sondern direkt an die Nervenenden und Sensoren geht und die Sinne aufweckt.“ Verschiedenes und Wiederholtes also als Wahrnehmungshilfe. Feldman war übrigens so fair, während des Spiels der Musiker zu gestatten, sich einen Snack zu holen und zu verspeisen. Vielfalt und Überfluss sind etwas, das wir immer wieder produzieren. Übrigens bemerkt man das ja auch an simpel gestrickter Popmusik. Das Erstaunliche ist, dass es bisweilen gar nicht um die musikalische „Information“ sondern die Szene darum herum geht. P. meinte dazu, dass wir nicht nur wiederholen, um uns zu bereichern, sondern dass hinzutritt, „dass wir Menschen niemals ohne andere Menschen sind, selbst wenn wir auf den höchsten Berg zu verschwinden versuchen“.

In der Regel arbeiten wir gemeinsam und schaffen uns so sinnstiftende Bezüge, ganz gleich, ob wir’s Familie oder Firma oder Verein nennen wollen. „Uns fällt heute kaum noch auf, wie wunderbar die Ausgestaltung unserer gemeinsamen Angelegenheit beispielsweise über eine Verfassung geregelt sind“, spann P. den gedanklichen Faden weiter. Das gebe Halt. Nach diesem Gespräch musste ich erst einmal in mich gehen. Es erschien mir radikal und unwirtschaftlich, was P. als eine Art Drei-Säulen-Theorie aufstellte. Aber Recht hat der, denn es ist ja längst alles da. Wir praktizieren diese drei Qualitäten Tag für Tag, schätzen sie aber nicht weiter. Vielleicht ist uns das nur noch nicht bewusst geworden? Vielleicht ist es hilfreich, darüber mit Blick auf Ziele und Werte im Unternehmen nachzudenken. Wenn nicht alles darauf abzielen würde, auf direktestem Weg das größte Wachstum zu erzeugen, sondern der ohnehin existierende Reichtum auch dort einziehen könnte, böte sich vielleicht wirklich eine Alternative, die unserem Menschsein gerechter wird. Jedenfalls wünsche ich ihnen erst und noch einmal einen schönen Tag.