Wie aus der Langeweile Neues entsteht

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Allem Anfang wohnt nicht nur ein Zauber inne. Denke ich oft. Also auch in Erweiterung des mittlerweile heftig altklug klingenden Poems „Stufen“ von Hermann Hesse. Anfangen, das heißt etwas. Das liebe ich. Das ist nicht nur die Magie des Unbekannten, des Starts, der Aufbruchssehnsucht, die nun endlich beginnt, im Ansegeln unbekannter Gefilde aus dem Status der terra incognita in erlebtes, kartografisch erfasstes Terrain zu überführen.

Wie aus Langeweile etwas neues entsteht

Die enorme Kraft des Anfängergeistes

Manche nennen das mit Blick auf fernöstliche Praktiken „Anfängergeist„. Es ist schlicht und ergreifend motivierend, wenn dir jemand sagt, gehe dorthin oder tue dieses. Gesetzt den Fall, es ist auch wirklich eine Herausforderung. Und los geht’s. Ich lege mich ins Zeug. Dann sind die Ängste, ob ich die Aufgabe bewältige oder nicht, nebensächlich. Woher, so wundere ich mich, kommt diese enorme schöpferische Kraft, diese lange ersehnte Fähigkeit zur Konzentration?

So neu ist Neuland gar nicht

Nun gut, das heißt es, zu nutzen. Achtung! Stopp. Pausetaste. Oder was auch immer. Neue Zeile.
Hält die euphorische Stimmung an? Oder ist es nur eine momentane Laune des Schicksals? Frustrierend stelle ich bisweilen fest, dass bei vielen Aufgaben das Neuland schnell umschritten und eingezäunt ist. Wenn alles vertraut zu sein scheint, tritt meist der Zustand der Stagnation ein. Das kann je nach Größe nach kurzer Zeit stattfinden.

Das Unglück des Verliebten

Oder es ist wie bei Herrn K. Der hat mir kürzlich im Vertrauen erzählt, dass er vor ein paar Jahren mit Elan eine Stelle angetreten hat. Eigentlich superbe und genau das, was er, der akademische Journalist, eigentlich immer wollte. Aber dann kam doch alles irgendwie anders, und schon bald fühlte er sich extrem unterfordert. Von der frenetischen Aufbruchsstimmung war nichts mehr übriggeblieben, erzählte er mir. Tja, dann hat er ein bisschen zu lange gewartet und ist gefeuert worden. Aber nicht, weil er in seiner inneren Emigration zum Faulpelz mutiert war. Er hatte sich schlicht am Arbeitsplatz in eine Kollegin verliebt. Das war außerhalb der Firmenpolicy. Pech.

Stagnation nach Euphorie

Ändert aber nichts am Sachverhalt. Stagnation nach Euphorie. Das sollte jedem bekannt sein, denke ich mir. Wenn ich sämtliche mir bekannten Fallbeispiele aus dem Leben der Anderen und aus meiner Existenz Revue passieren lasse, komme ich zu einem Schluss, der mit den gewöhnlichen Lösungen nicht viel gemein hat. Das eingangs erwähnte Gedicht von Hesse sagt: „Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, / Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“ Aber dann fängt ja alles wieder von vorn an.

Sind die Helden die Anderen?

Nein, mir wird klar, dass ich andere Helden habe. Etwa Sisyphos. Oder Tantalos. Also die beiden, die sind die wahren Meister. Die müssen mit der Wiederkehr des Immergleichen ihr Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Dasein fristen und auch noch dafür unmenschlich schuften. Was heißt es nämlich, morgens aufzubrechen, um zu wissen, dass der Stein doch wieder herunterrollt. Oder sich in dem Wissen zu bücken, dass das Wasser sich teilt, der Durst auf ewig unstillbar bleibt? Dies vor Augen, freue ich mich maßlos über die Erkenntnis, dass das Aufbrechen das eine ist, das Management von Ennui und Gewöhnung ein anderes, aber beide zusammengehören.

Wirklich Neues schaffen

Der Zauber des Anfangs beschützt und hilft uns gerade nicht, zu leben. Denn nach dem Aufbruch sind wir wieder in derselben Schleife. Das erste, was ich für mich leisten will, ist die Überwindung des Unbehagens und der Scham, so etwas wie Langeweile zu spüren. Habe ich das geschafft, bin ich dazu in der Lage, Phasen der Langeweile zu akzeptieren und in ihnen meine Situation so zu reflektieren, dass ich mit Gewinn lerne, auf den Anfang aufzubauen. Erst dann schaffe ich wirklich Neues.