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Es ist nicht ganz so einfach, sich und sein Wirken aus einer gerechten Distanz zu betrachten. Das habe ich jetzt gelernt. Da kann man nämlich glatt missverstanden werden und zudem sich selbst missverstehen. Das hat auch etwas mit den Bildern zu tun, die wir im Alltag zu nutzen gewohnt sind.

Zwischen Lust und Schmerz

Neulich äußerte ich beiläufig Herrn G. gegenüber die Vorstellung, dass sich das Leben zwischen Schmerz und Lust erstrecke. Er antwortete mir mit einem Missverständnis – aus meiner Sicht zumindest. Das machte das Ganze ziemlich kompliziert. Aber wer kann uns befehlen, dass wir uns immer und auf einfache Weise verstehen? Jedenfalls meinte er, dass Lust und Schmerz ja bloß Pole seien. Seiner Vorstellung nach sei eine Präsenz in der – wie er es ausdrückte – „stillen Mitte“ dazwischen der erstrebenswerte Zustand.

Eine simple Geometrie der Gefühle

Alles derart auf eine Achse oder einen Punkt herunterzubrechen, ist schon rechtens, dachte ich, aber ich stolperte darüber. Im Nachhinein ging mir durch den Kopf, dass diese Geometrie der Gefühle zu simpel ist. Weder G. noch ich wurden mit unseren Behauptungen der Sache des Lebens gerecht.
Wenn ich versuche, mir das Ganze grafisch vorzustellen, muss mindestens die dritte Dimension hinzukommen. Und dann noch eine weitere: etwa die qualitative. Demgemäß gibt es einerseits eine Menge mehr Zaunpfähle auf dem Grundstück eines Lebens, als Lust und Schmerz. Andererseits ist das eine Fläche vor jeder Flurbereinigung, also ein Vieleck in merkwürdig unregelmäßiger Gestalt. Außerdem stehen darauf auch Bäume mit hohen Kronen. Etwa Sympathie und ihre kaum nachvollziehbaren, tiefädrigen Wurzeln der Antipathie. Das ergibt, wenn man so weiter malt, irgendwann ein richtig schönes Gemälde. Und das beobachtende Auge geht darin auf Wanderschaft und kriecht in alle Falten der Leinwand.

Stillstand ist der Tod der Bewegung

Stets ist der Sehapparat – wie bei Bildern üblich – gemäß der Komposition in Bewegung und entdeckt hier oder da etwas Neues. Manchmal verweilt er vielleicht auch bei einer besonders schön konturierten Gebirgskette, aber auch hier folgt mein Auge einer Linie, die sich dann im Endlosen eines luftperspektivisch aufgelösten Horizonts verliert. Ob es dann eine Idylle oder ein Schlachtenbild wird, liegt an jedem von uns selbst. Aber in diesem Bild hört das Sehen eben nicht auf. Denn das Sehen in Bewegung ist der vielleicht einzige Sinn. Daher werde ich das Gefühl nicht los, dass die Suche nach einem finalen Haltepunkt fürs Auge nicht etwa Ruhe und Erholung markiert, sondern vielmehr eine unterschwellige Sehnsucht nach dem letzten Stillstand. Und das ist der Tod.