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Es gibt eine ganze Reihe von Wörtern, die durch etliche Generationen regelrecht verhunzt worden sind. Eins davon ist die Demut. Jeder denkt dabei an eine devote, also untergebene Unterwürfigkeit: eine abgründige Mischung aus Angst und Einschleimen vor irgendwelchen Autoritäten. Das ist sicher das Erbe unserer christlichen Religionsgeschichte in Verbindung mit früherer Feudalherrschaft. Das, so könnte man glauben, hat in unserer Gesellschaft keinen Platz. Gewiss, hat es auch nicht.

Unsere Mitmenschen wünsche ich mir jedenfalls als verantwortliche, mitmachende Individuen, die nicht kuschen, wenn es einmal brenzlig wird und sich gegen Unrecht und Willkürherrschaft zur Wehr setzen. Richtig so. Schließlich haben wir gerade in diesem Land mindesten zwei Staaten erleben müssen, in denen Repressionen, Überwachung und Staatsterror so manchen in eben jene Haltung der elenden Unterwerfung getrieben haben – freiwillig aus Profitgier oder unfreiwillig ist dabei eigentlich gleichgültig. In unserer heutigen Gesellschaft muss das freilich nicht sein. Also könnte man meinen, dass Wörter wie Demut der Vergangenheit angehören, dass wir diese Verhaltensweise also tunlichst vermeiden, dass wir sie diesem Sinn gemäß nur fürs Negative verwenden.

Colorado River

Talent und Demut

Ich möchte eine andere Geschichte erzählen. Recht spät hat mein Freund D. damit angefangen, ein Streichinstrument zu erlernen. Man beginnt damit eigentlich schon mit fünf Jahren, und für manche Schulen ist das schon zu spät. D. war 16, also konnte er überhaupt noch etwas erwarten? Von dieser Furcht sprach er mit seinem Lehrer. Und der sagte etwas Erstaunliches, da D. zudem auf dem besten Weg war, sich allzu sehr auf seine Begabung zu verlassen: „Zehn Prozent sind Talent, der Rest ist Demut.“ Als D. das hörte, war er zunächst entsetzt. Er hatte keinen Zugriff auf die Bedeutung des Satzes. Natürlich fragte er nach, und der Lehrer vermittelte ihm ein ganz anderes Bild von dieser geschmähten Vokabel. Das klang dann eher nach Ehrfurcht vor der Musik, die der Musiker durch notwendigen Fleiß und stetes Üben erfährt.

Jetzt könnte man zweierlei einwenden. Erstens ist das ja auch eine Ausdrucksweise, die so altbacken wie die Demut ist, und zweitens dreht es sich hierbei nicht um Menschen, sondern um eine Sache. Als D. mir die Geschichte erzählte, musste ich lange darüber nachdenken. Und es gefällt sicher nicht jedem, aber ehrlich gesagt, habe ich ein wenig den Narren daran gefressen. Mir fallen so viele Dinge ein, auf die sich das anwenden ließe. Und mir öffnen sich dann ganz andere Wortfelder. Wenn ich einem Korbmacher auf dem Weihnachtsmarkt zusehe, wie er mit Bedacht und Sorgfalt sein Material auswählt, streichelt, es entsprechend dem Zweck handhabt, dann staune ich ebenso wie beim Blick über die Schulter eines Fotografen, der im Straßengewühl den einen, trefflichen Blick auf ein merkwürdig amüsantes Geschehen wirft und aus Licht und Schatten einen Moment zur Ewigkeit erhebt.

Was zählt ist eine positive Haltung

Beobachtet man die Menschen, und befragt sie, so geben sie sehr nüchtern preis, dass sie in einer sachlichen Innigkeit mit ihrem Material und mit ihren Werkzeugen verbunden sind. Aus ihren Aussagen spricht zudem die Anerkennung der Begrenztheit der eigenen Befähigung und des Materials. Gerade im Gespräch mit Musikern bekomme ich so häufig den Eindruck, dass dort eine selbstbewusste, aufrechte Demut am Werk ist, die gerade das zu zaubern in der Lage ist, was uns verzaubert. Aus dieser Perspektive sehe ich Demut eben doch als eine durchaus positive Haltung, in der sich ein tiefer Respekt zum Ausdruck bringt.