Zukunftsversprechen

Das Morgen ohne Heute

Ein Zwischenruf

Künstliche Intelligenz, Quantencomputer, Kernfusion, Genetik, Kryokonservierung – da sind sie wieder, die Erlösungsmaschinen, aufgestellt am Horizont wie Kulissen für ein Stück, das niemand proben will, weil alle schon das Finale kennen und trotzdem so tun, als käme noch ein vierter Akt.

Wir reden über die falschen Technologien, heißt es. Gemeint ist: Wir reden zu wenig über die richtigen. Wobei die richtigen, versteht sich, immer jene sind, die noch nicht funktionieren – deren Versprechen gerade deshalb so blendend strahlt, weil keine Empirie es trübt. Die Kernfusion löst alle Energieprobleme, seit sechzig Jahren in zwanzig Jahren. Die Quantenrechner werden rechnen, was wir uns heute nicht erdenken können, weshalb wir uns auch nicht erdenken können, was das mit unserem brennenden Jetzt zu tun haben soll. Die Genetik wird uns optimieren, upgraden wie ein Betriebssystem, das noch nicht gemerkt hat, dass der Server schmilzt. Die Kryokonservierung friert zahlungskräftige Körper für eine Zukunft ein, die so freundlich sein soll, sie wieder aufzutauen – wenn wir denn erst die Welt gerettet haben, mit Apparaturen, die wir heute nicht beherrschen, für einen Planeten, den wir morgen vielleicht nicht mehr bewohnen können. Und die künstliche Intelligenz, dieses Jahr endlich wirklich intelligent, nächstes Jahr superintelligent, übernächstes Jahr uns allen überlegen, halluziniert derweil zuverlässig vor sich hin, erfindet Quellen, verschlingt Strom und bedient Renditeerwartungen, deren einzige Grundlage weitere Renditeerwartungen sind.

Man muss sich diesen Futurotropismus einmal vorstellen: Eine Zivilisation, die so zukunftstrunken durch ihre Gegenwart taumelt, dass sie den Boden unter sich für optional hält. Die Böden, übrigens, die echten – verdichten, versalzen, verschwinden. Die Meere, warm und sauer. Die Atmosphäre, angereichert mit den Abgasen jener Industrien, die uns die nächste Disruption versprechen. Aber das, so hört man, seien die falschen Technologien, die Debatten von gestern, während die Visionäre bereits in Räumen sitzen, klimatisiert mit Strom aus fossilen Brennstoffen, und über Fusionsreaktoren sprechen, die Plasma bei hundert Millionen Grad stabil halten sollen. Das Klima bei 1,5 Grad plus zu stabilisieren, schaffen wir nicht.

Das Geschäftsmodell dieser Hoffnung ist bemerkenswert: Man verkauft Lösungen für Probleme, die erst entstehen werden – der Markt als Zeitmaschine –, während die Probleme, die bereits bestehen, zu langweilig sind, zu bekannt, zu politisch. Quantencomputer für Logistikoptimierung, während die globalen Lieferketten endlich das tun, was sie längst hätten tun sollen: zusammenbrechen. Was als Krise erscheint, ist das verdiente Ende einer überspannten Logik. Dreißig Jahre ultralean, global zentralisiert, auf Effizienz getrimmt bis zur Fragilität – jetzt erzwingt der Kollaps, was kein Klimagipfel durchsetzte: Regionalisierung, kürzere Wege, lokale Resilienz. Die Containerriesen stranden, und plötzlich erinnert man sich, dass Wirtschaft auch ohne zehntausend Kilometer Seeweg funktionieren kann. Longevity-Forschung für zahlungskräftige Körper, während die Ökosysteme krepieren, die uns überhaupt erst hervorgebracht haben. Kryotanks für Milliardäre, während die, die sich keinen Kühlschrank leisten können, im Hitzesommer sterben.

Das ist die Zukunft als Flucht, Innovation als Desertion. Man investiert in übermorgen, weil heute zu anstrengend wäre, weil heute Umverteilung hieße, Verzicht, die Anerkennung, dass wir bereits alles hätten, was wir brauchen, um die Katastrophe abzumildern – nur eben nicht den Willen, es einzusetzen. Stattdessen: Hyperloop-Renderings und Mars-Kolonien und die heilige Fusion, immer zwanzig Jahre entfernt. Der Permafrost taut, das Methan steigt, die Korallen bleichen, und wir tun so, als wäre das ein Interface-Problem, ein Bug im Code, den ein Update behebt. Die KI wird es richten, dieselbe KI, die gerade lernt, Wasserzeichen aus Stockfotos zu entfernen und Bewerbungen nach Postleitzahl zu sortieren.

Die wirklich entscheidenden Technologien, sagt man. Die wirklich entscheidenden. Als hätten wir keine Sonnenkollektoren, keine Wärmepumpen, keine Fahrräder, keine Aufforstung, keine Humusbildung, keine verdammten Zugnetze. Als wäre das Problem der Mangel an Apparaten und nicht der Überschuss an Ausreden.

Aber das klingt natürlich nicht nach Innovation. Das klingt nach Arbeit.