Die Lernreise zum Kühlschrank

Vom Lernen und Gesehen-Werden

Die Lernreise zum Kühlschrank

Neulich habe ich meinen Kaffee aufgebrüht – pardon: eine transformative Reise durch die Dimensionen der Selbstoptimierung angetreten, bei der ich durch achtsames Aufgießen bei 96 Grad meine Beziehung zu Heißgetränken neu kalibriert habe. Drei Slides auf LinkedIn später war ich erschöpft. Von der Kaffeezubereitung, wohlgemerkt.

Wir leben in einer Epoche der obligatorischen Epiphanie. Der Gang zum Bäcker wird zum Pilgerweg der Achtsamkeit, das Sterben der Zimmerpflanze zur Leadership-Lektion, und wer seine Socken sortiert, ohne darüber einen Thread zu verfassen, der hat sie vermutlich gar nicht wirklich sortiert. Die Welt braucht deine Insights, Freundchen. Auch die über Wollsocken.

Diese pandemische Dokumentationswut hat einen schönen Namen bekommen: Learning Journey. Als hätte jemand Bildungsreise und Selbsthilfe-Jargon in einen Mixer geworfen und auf LinkedIn ausgekippt. Das Schöne an der Learning Journey ist ja, dass sie nie endet – was praktisch ist, weil man dann auch nie wirklich irgendwo ankommen muss. Man ist permanent unterwegs, vorzugsweise zwischen Erkenntnissen, die man vorher schon hatte, die aber erst durch öffentliche Verbalisierung ihre wahre Tragweite entfalten.

Gestern: Ich habe einen Nagel in die Wand gehauen. Heute: Ich teile fünf Game-Changing Lessons über Resilienz und präzises Zielen, die ich beim Hämmern gelernt habe (der blutige Daumen wird zur Metapher für Growth Mindset). Morgen: Dein kompletter Feed besteht aus Menschen, die ihre Hemden bügeln wie Navy Seals eine Mission planen.

Dabei verkümmert etwas Entscheidendes – die Fähigkeit, einfach mal in der Welt zu sein, ohne sie sofort in verwertbaren Content zu pressen. Heidegger nannte es In-der-Welt-sein, wir nennen es heute: Verschenktes Storytelling-Potenzial. Der Spaziergang, bei dem kein einziger Gedanke instagrammabel formuliert wird? Verschwendete Zeit. Die Niederlage, aus der man keine drei Lehren für andere zieht? Hat offenbar nicht wehgetan genug.

Das wirklich Perfide: Wir haben den Reflexionszwang so verinnerlicht, dass die Erfahrung selbst zur Vorstufe ihrer Dokumentation verkommt. Man erlebt nicht mehr, man sammelt Material. Das Leben wird zur Beta-Version des Posts darüber. Und während wir alle damit beschäftigt sind, unsere banalen Alltagsmomente in Weisheitsnuggets zu verwandeln, passiert das Eigentliche irgendwo außerhalb des Frame.

Ich muss jetzt los, meinen Müll rausbringen. Äh, ich meine: eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Trennungskultur beginnen.

Stay tuned für die Learnings.