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Es gibt Momente, in denen ich in den Boden versinken möchte. Sind sie vorbei, benötige ich erst einmal eine Weile, um mich wieder zu fangen. Zugegeben, natürlich werfe ich selbst natürlich auch Schatten, über die ich nicht springen kann und die gewissermaßen peinlich berühren können. Soll ich das leugnen? Wohl kaum.

Diktatur des Glücks

Jedenfalls spazierten F. und ich neulich durch den Stadtgarten. Was für ein Wetter! Beste Stimmung. Allerdings rechneten wir nicht damit: Uns ereilte in dieser erstaunlichen Frühlingsstimmung mit den Weidenkätzchen und dem Vogelgezwitscher, die für den späten Februar eigentlich noch gar nicht da sein dürfte, fast so etwas wie ein Unfall. G. stieß mit uns zusammen und posaunte: „Der entscheidende Schlüssel zum Glück ist, mit dem zufrieden zu sein, was man im Augenblick ist und hat. Diese innere Zufriedenheit verändert Euren Blick auf die Dinge, so dass Euer Geist in Frieden verweilen kann.“

Sich wegen dem Dalai-Lama fremdschämen

F. schaute mich an, und wir fragten uns, was das denn nun schon wieder für eine Performance sei. Unsere Stimmung? Peinlich berührt. Wir kennen G. ja nun schon seit geraumer Zeit und wissen von seinen teils bizarren Auftritten. Das sage übrigens der Dalai-Lama. Schob G. schnell nach, um den Verdacht des Plagiierens gar nicht erst aufkommen zu lassen. F. konnte sich nicht zurückhalten. Sarkastisch: „Na klar, Glück ist das erste Erstrebenswerte überhaupt. Und das erkaufen wir damit, dass wir unsere Wünsche und Vorstellungen komplett zurückschrauben.“

Der Hölle entrinnen

Aber dann wieder ernster: „Ich stelle mir gerade einen Menschen aus Syrien vor, der mit seiner Familie vor dem Fassbombardement davonläuft. Und Sie, lieber G., erzählen ihm diese Geschichte vom Glück. Klar, er hat nicht einmal mehr eine Plastiktüte mit Eigentum dabei, sondern nur das, was er am Leib trägt.“ G. winkt ab. Das sei doch ein weit hergeholtes Beispiel. Nein, meinte F. Das sei Alltag. Da dachte ich, dass ich mich jetzt nicht einmische. Im Gegenteil. F. sieht es offenbar genauso wie ich. Soll sie reden. „Wenn der Dalai-Lama auf diese Weise argumentiert, denkt er wohl weniger an seine unterdrückten Landsleute.“

Widerstand leisten

Gegen eine solche Meinung müsse man Folgendes einwenden: Es offenbare sich irgendwann die Pflicht, Widerstand leisten zu müssen oder eben mit seiner Familie das Weite zu suchen. Das sei man seinen Kindern und seiner Verantwortung für sich und sein Leben selbst schuldig. Mit Glück habe das wenig zu tun. Wer das ewige Glück suche, solle sich mit der Aufhebung des Unglücks der anderen beschäftigen, was sie nicht im Sinne christlicher Nächstenliebe falsch verstanden wissen wolle. Ja, Recht hat F. Sie verweist auf die Gemeinschaft, wohingegen der Dalai-Lama nur das vereinzelte Individuum vor Augen hat. Mir ging es jedoch noch um ein Anderes: dass nämlich diese ganzen Kalendersprüche, die überall herumgeistern, die Sinne verirren und das Denken verkümmern lassen. Deswegen sollten wir uns selbst ermächtigen, zu denken. Nachzudenken. Im denkenden Nachvollzug dann auch die Schwierigkeiten dieser Kalendersprüche entlarven zu können, halte ich für mich für eine durchaus erstrebenswerte Fähigkeit. Mal sehen, wie weit ich damit komme. F. jedenfalls ist in dieser Hinsicht fantastisch schnell.