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Zum Zwecke der anderen: Aus Mangel an Verantwortung

Neulich traf ich Herrn D. Er berichtete mir, dass in dem kleinen Betrieb, in dem er arbeitet, sehr begrenzte Vorstellungen darüber herrschen, was und wie jeder im Team zu arbeiten habe. Das beginne bei der Arbeitszeit. Acht Stunden sind acht Stunden. Beispiel: Dass mal jemand um den Block geht, um sich die Beine zu vertreten, ist außerhalb der Mittagspause verboten.

Über Verantwortung und Kontrolle

Das Quantum an Kontrolle ist ziemlich groß, und man sollte stets darauf gefasst sein, dass „die von oben“ mal vorbei schauen. Nun ist jedoch die Crux an der Sache, dass D. in der Kreativwirtschaft tätig ist. „Ich kann einfach nicht acht Stunden am Stück, fünf Tage in der Woche bei 20 Urlaubstagen per Anno schöpferisch Sinnvolles leisten“, klagte er mir sein Leid. Er fühle sich überwacht, unfrei und habe nach der anfänglichen Euphorie für den Job sein inneres, mentales Bett in der Emigration außerhalb des Betriebs aufgeschlagen und versehe seinen Dienst vordergründig und nur streng nach Vorschrift. Er heuchele Interesse, wo längst keines mehr sei, wo Engagement und Eigeninitiative umgehend im Keim erstickt worden wären. Hinzu käme, dass seine Vorschläge, die zur Verbesserung der Produkte betrügen, stets abgeblockt würden.

Führungskultur aus der Vor-Kriegszeit

„Weißt Du, das Schlimmste an allem ist, dass ich mich fühle wie das Mittel zu einem Zweck, der mit mir selbst eigentlich gar nichts zu tun hat. Nur mit dem Bankkonto der Inhaber.“ Das wäre so entmutigend, dass er drauf und dran sei, seine Kündigung einzureichen. Wer will ihm widersprechen? Derartige Methoden, ein Unternehmen zu führen, stammen aus der Vorkriegszeit. Problem: Der Betrieb steht perfekt am Markt. Kunden sind zuhauf vorhanden. Wachstum garantiert. Konkurrenz gleich Null. Kein Wunder, dass nach innen hin alles zu gehen scheint. Aber Profit ist die eine Seite, die andere ist unternehmerische Verantwortung. Wenn der bedauernswerte D. beispielsweise die Gelegenheit bekäme, sich zu entfalten, sähe vieles anders aus. Jetzt ängstigt er sich, etwas falsch zu machen. Also arbeitet er ohne Risiko und schraubt seinen Erfindungsreichtum auf ein Maß zurück, dass ihn für seine Vorgesetzten extrem berechenbar und kontrollierbar macht.

Die radikale Unterbindung von Kreativität hat ihren Preis

Er arbeitet also auch selbst an dieser Rolle als Zweck der anderen. Aber was wäre, wenn er sich auf einem Spaziergang im nahe gelegenen Park von einem weiten Blick inspirieren lassen könnte? Was wäre, wenn er ohne Angst schlichtweg einen Teil der Zeit experimentieren dürfte? Jetzt verplempert er die Stunden mit Nichtigkeiten und hat an manchen Tagen abends das Gefühl, rein gar nichts geleistet zu haben. Und das spärliche Lob für herausforderungslose Standardarbeit hilft ihm natürlich nicht dabei, seine Frustration zu überwinden. Diese Atmosphäre des Misstrauens, die sich in einem strengen Reglement, Überwachung und Kontrolle Ausdruck verschafft, schließt produktive Unfälle, experimentell bedingte Zufallsfunde aus, verhindert Freiheit und kerkert freies Denken ein. Und das Unternehmen wird sicher irgendwann bei gewandelten Bedingungen feststellen, dass das radikale Unterbinden dynamischer Kreativität ihren Preis hat. Untergang programmiert. Die Frage ist nur, wann es geschieht. Nein, in diesem Korsett lässt sich nicht arbeiten. Herr D. sollte so schnell wie möglich kündigen. Ansonsten müsste ich mich sicher um seine Gesundheit sorgen.