Sascha Büttner / Matthias Kampmann – Ein Gespräch über Resilienz
Lieber Freund, neulich las ich in einer Zeitschrift über das Modewort bzw. den Modebegriff «Resilienz». Der Kernsatz des sicherlich kritischen Artikels lautete in etwa: «Auf perfekte Weise passt das Konzept der Resilienz in die neoliberal überhöhte Idee von Eigenverantwortung.» Das meint, dass die kommenden Krisen und Katastrophen als gesetzt zu betrachten sind und das Individuum, oder auch die Unternehmung, gut daran tut, seine Widerstandskräfte zu stärken und zu optimieren. Die Möglichkeit, die Zustände der Macht, der Herrschaft, zu ändern, scheint ausgeblendet oder erst gar nicht mehr in Erwägung gezogen zu werden. Ist das so?
Resilienz als Überlebensstrategie in persönlichen Dramen
Das ist, mein Bester, eine sehr herausfordernde Sicht auf die Lage. Aber sie ist nicht neu. Immer, wenn es zu Konflikten kommt, bilden sich entsprechende Lager. Die einen sagen, Umwälzungen sind unmöglich, Wandel ist das Gebot der Stunde. Die anderen rufen nach einer alles verändernden Revolution. Und nun kommt die Resilienz. Aber schauen wir genauer hin, denn es gehen bestimmte Aspekte ansonsten verloren. Zur einfacheren Verständigung möchte ich drei Parteien benennen die Resilienten nenne ich R, die Wandler W und die Revolutionäre RE. Damit zeige ich bereits an, dass ich zwischen R und W unterscheide. Warum? Ein R schaut zurück, ein W wie ein RE nach vorn. R ist individuiert. Ein R hat beispielsweise einen Schicksalsschlag erlitten. RE und W jedoch sind eher nicht allein mit einem Unglück konfrontiert als vielmehr einer Situation, die viele betrifft. Ist dies nachvollziehbar?
Lieber Freund, und ob das nachvollziehbar ist! Zumal es mich an das Dramadreieck erinnert: Verfolger – Opfer – Retter. Ist das Resilienz-Theater gemacht für die Aufführung des Dramadreiecks? Wenn man manchen Coaching-Schulen Glauben schenken darf, handelt es sich bei der Persönlichkeit um Rollen. Bei manchen aufgeteilt in eine bis drei Rollen. Je nach dem. So, wie ich Dich verstehe, lieber Freund, unterscheidest Du diejenigen Rollen voneinander, die sich den Umständen hingeben (und in diesen überleben wollen – denn Resilienz beansprucht ja nur das Überleben wollen), und in diejenigen, die die Umstände wandeln oder grundlegend verändern wollen (RE)?
Resilienz als Theater des Lebens: Rollen und Persönlichkeiten
Mein Bester, das ist es. Ob ich mich als Retter dann im Dramadreieck wiederfinde, kann ich noch nicht sagen, aber ich nähere mich der Problemlage an. Wenn ich mich in der Rückschau einer seelischen Hantelstemmerei aussetze, komme ich vielleicht damit klar, mir zu sagen, dass etwas vorbei ist. Das jedoch bedeutet, in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben. Ok, soweit waren wir ja schon. Das versteht man vielleicht unter Opfer-Seelsorge, wenn ein Coach mit Resilienz-Methoden arbeitet. Was ich nun sehr spannend finde, ist ein sprachliches Desaster: Wenn, wie Du mich lehrst, manche Schulen den Begriff der Rolle einführen, dann verstehe ich das so, als ob es neben dem Leben ein Rollenspiel gibt. Sprich: Eine Firma ist die Bühne oder gleich ein ganzes Theatergebäude, das ausschließlich nur aus Bühnen besteht, selbst die Flure sind dann Bühne. Dann macht es – hier ein kleiner Gedankenschwenk – natürlich nichts aus, wenn ich meine schauspielernden Arbeitnehmer total überwache. Denn ich muss ja ihre Rollenperformance messen und verbessern. Mir ist bewusst, dass ich diese Metaphorik zu wörtlich nehme, aber ich glaube, dass es fruchtbar ist, die Bedeutungen, ob sie nun bewusst oder unbewusst gewählt sind, so aufzufinden, wie es ein Literaturwissenschaftler bei der Gedichtanalyse versucht. Sprich, im Sinne einer Hermeneutik, einer Kunst der Auslegung, des Sprachgebrauchs in der Wirtschaft dahin zu kommen, sie besser zu verstehen. Im Gegensatz nun, und das nach langer Rede mit kurzem Sinn auf Deine Antwort, zu den Rollenspielern ist mir schon bewusst, dass es da noch eine ganze Reihe feiner Unterschiede gibt. Nimm zum Beispiel die längst akzeptierten Ergebnisse der Gender-Forschung. Es ist ganz klar, dass unser Gender oft nicht mit unserem biologischen Geschlecht kongruent ist. Nun sage einmal einem Menschen, der zwar biologisch, sagen wir, ein Mann ist, er spiele nur eine Rolle, wenn er sich selbst zur Frau stilisiert, ohne eine Frau biologisch zu sein. Ich befürchte, dass Du da ziemlichen Ärger bekämst. Und zwar zurecht. Kurzum, mir ist bewusst, dass es Persönlichkeitsschichten gibt, die Fremdes und Eigenes mischen, die bisweilen schauspielerische Züge annehmen. Dann aber ist bereits eine Grenze überschritten. Meiner Auffassung nach sollte man auf den Rollenbegriff komplett verzichten. Die Schauspielkunst ist ein schlechter Metaphernspender. Es geht um Menschen in ihrem Beruf, die längst Persönlichkeiten ausgebildet haben. Ich möchte niemandem unterstellen, er spiele mir nur vor, was er mir auf dem Flur zur nächsten Abteilung erzählt. Das wird ihm und seinen Worten in keiner Weise gerecht.
Vortrefflich, Deine Ausführungen zum Rollenspiel. Doch würde ich darauf später zurückkommen wollen, in einem anderen Gespräch und nun zurückkehren zur Resilienz. Dieser Begriff aus der Psychologie meint ja nun vordergründig die psychische Widerstandsfähigkeit. Dieser Begriff mutiert – in neoliberaler Aneignung – zu einem Konzept der Wappnung wider die Unbilden der Zeit – die Krisen und Katastrophen dieser Zeit. Der Katastrophen und Zumutungen, die der Neoliberalismus produziert. Kritiker unterstellen dem Konzept der Resilienz die Privatisierung sozialer Verantwortung bis hin zu einem Neoliberalismus in der Psychotherapie. Nun will ich hier, guter Freund, nicht ob des Neoliberalismus in Jammerei ausbrechen oder gar verharren. Wie oder was können wir von dem Konzept Resilienz – dem Konstrukt Resilienz übernehmen? Taugt Widerstandsfähigkeit etwas? Und wenn ja: Für wen?
Nun, als Kind, mein Bester, da hieß die Antwort auf Immunschwächen Multisanostol. Das gibt es heute noch. Es liegt mir allerdings sehr fern, an dieser Stelle – und auch anderswo – Werbung zu betreiben, aber in gewisser Weise muss ich an diesen Lümmel denken, der sich mit «Lebertran», wie es bei uns auch hieß, die Schnute verschmierte und, ich glaube damals noch in Schwarz und Weiß unser Wohnzimmer besuchte. Nein, auch lustig machen möchte mich eigentlich nicht. Aber ich bin ein wenig hin und hergerissen. Denn die steten Versuche der Umschreibung und Weiterschreibung bereits bestehender Begrifflichkeiten und Strategien zum Überleben, die viele, die aus der Arbeit der Denker, die eben längst dahingegangen sind, für ihre Arbeit vornehmen, um daraus Profit zu ziehen, wirken unfreiwillig komisch. Begeben wir uns doch einmal ganz an den Anfang, um herauszufinden, wie diese Rede von der Resilienz funktioniert. Bist Du mit mir einverstanden, wenn ich behaupte, dass niemand so töricht sein kann, zu sagen, er oder sie brauche keinen Schutz für einen denkbaren Extremfall? Also damit meine ich, eine Wappnung, die das Resultat der Erkenntnis ist, dass das Leben zum einen von Zufällen, zum anderen eben nicht nur von Glücksfällen bestimmt ist, die wir in der Regel nur bedingt beeinflussen können.
Wappnung, da gehe ich mit Dir konform. Hier muss ich spontan an «Duck and cover» denken. Diese irrwitzigen, jedoch todernst gemeinten amerikanischen Überlebensfilmchen, die die Bevölkerung auf den nahenden, oder zumindest potentiell nahenden, Atomtod durch Bomben vorzubereiten versuchten. Durch Propagierung einfacher, bestimmt wirksamer, Handlungen. Eben «Duck and cover». Aber bitte, fahre fort in Deiner Argumentation!
Kritische Betrachtung: Resilienz als Antwort auf Krisen und Katastrophen
Wunderbar! Klar, da läuft der Film vor meinem geistigen Auge. Deine Assoziation bringt mich schon wieder auf Abwege; einen davon sollten wir dann später erneut aufnehmen. Er lässt sich einfach als «Spiel der Mächtigen mit den scheinbar letzten Wahrheiten» umschreiben. Denn keiner von denen, die bereitwillig glaubten, dass eine minderwertige Deckung vor Strahlung schütze, war in der Lage, selbstbestimmt andere Urteile zu fällen. Etwa zu denken, dass das staatliche Handeln damals lediglich eine von vielen Optionen gewesen ist. Und wie ist das heute? Dieser Verhalt bietet nämlich wiederum einen Anschluss an die Ausgangsfrage an: doch der Reihe nach. Zur Wappnung. Von einem gewissen Zeitpunkt unserer Persönlichkeitsentwicklung an – das betrifft die einen früher als die anderen – können wir nicht anders, als einen psychischen und am besten rationalen Mechanismus in uns zu etablieren, der uns vernünftigerweise auferlegt, beinahe schon wie eine Pflicht, dass das Leben sich nicht nur zu den Geburts- und Feiertagen mit allen Geschenken und Freuden abspielt, sondern eine Fähigkeit auszubilden verlangt, deren Horizont etwas ist, das man mit dem Bewusstsein von zufälligem Unglück oder Glück umschreiben könnte. In meiner derzeitigen Verfassung möchte ich sagen, dass mir die Erfahrung und alle anderen Einflüsse, denen ich ausgesetzt gewesen bin, auferlegt haben, eben in keiner Weise mehr besinnungslos zu denken. Alle Tätigkeiten, Entscheidungen, Vorstellungen, Projektionen speisen sich aus einem Pool von Abstraktionen, die für den Fall der Fälle in einem Danach, auf einen Punkt gebracht, zur Folge haben, dass ich weiß: Es kann schlicht nicht für alle Zeiten rund laufen. Das sind nicht einmal statistische Einschätzungen. Das ist mehr. Das ist etwas Grundsätzliches. Was ich hiermit so distanziert beschreibe, ist de facto meine Erfahrung. Leben kann ich problemlos ohne eine apokalyptische Semi-Psychose. Das ist nämlich die wesentliche Differenz. Es geht nicht darum, mit dem Schlimmsten stets zu rechnen, das machte mich nämlich zum Pessimisten. Vielmehr möchte ich verdeutlichen, dass es eine Haltung gibt, deren Qualität in der Potenzialität liegt. Und genau das meine ich mit einer Vorstufe von Wappnung. Mein Bester, Beispiele sind problematisch, dennoch sehe ich mich gerade außer Stande, ohne ein solches auszukommen. Also verzeih mir dieses spezielle «Exempel». Lassen wir mal außer Acht: die Lust. Die wiederum spielt in anderen Kategorien, die eng mit den unseren verwoben sind, aber der Konzentration abträglich sind. Sicher weißt Du schon, worauf ich hinaus will. Als wir neulich übers Motorradfahren sprachen, sagtest Du, dass Deine Vorstellungen nicht damit in Übereinkunft zu bringen sind, welche Gefahren dahinterstecken. Danach hatte ich mir vorgenommen, meine Frau zu befragen, wie sie darüber denkt, wenn ich aufs Motorrad steige. Sie sagte knapp, sie vertraue mir. Sprich: Wir brauchten kein Wort darüber zu verlieren, dass mir die Vorfahrt genommen werden könne. Der Fairness halber muss gesagt sein, dass sie selbst Jahre lang gefahren ist. Sie weiß also aufgrund eigener Erfahrung, wie es ist, Motorrad zu fahren. Jedoch sagt sie nicht, ich solle es bleiben lassen, weil ich sterben könne. Und trotz allem weiß ich das. Es ist mir jedes Mal bewusst, was alles passieren kann, selbst wenn ich mich natürlich nicht direkt in Agonie sehe, wie es einer dieser Präkogs in der Erzählung «Minderheiten-Report» von Philip K. Dick könnte. Für den praktischen Notfall bin ich deswegen also nicht gewappnet, wenn ich «nur» weiß, dass Motorradfahren diese oder jene Folgen haben kann. Dann aber ist dort auch das Areal der Erfahrung durchs Fahren, die ich sammle, wenn ich fahre, das ist die Freude, die ich ferner bei Fahrtrainings habe, die mich die Maschine kennenlernen lassen und Handlungsoptionen in Notfällen zur Übung bringen. Mit Wappnung meine ich demgemäß in diesem und vielleicht auch in unserem allgemeinen Zusammenhang etwas Allgemeineres: das Wissen um mögliche, je verschieden wahrscheinliche Katastrophen in Abgleich mit dem Vertrauen auf eigene Kenntnisse und Erfahrungen. Denn Du kannst so viel auf dem Motorrad können, doch ereilen kann Dich das Unheil stets und an mindestens jeder Kreuzung. Also was könnte mir nun das Denken der Resilienz in diesem Beispiel helfen? Meiner Auffassung nach nicht allzu viel. Das Kind ist im Brunnen, und dann? Wenn ich «gewappnet» bin, wenn ich gefasst bin, dann akzeptiere ich vielleicht nicht innerhalb des ersten Moments das, was da passiert ist, wenn etwas passiert ist, aber wie sollte ein vorausschauendes mentales «Body Building» denn wirklich schützen? Vor dem Ereignis selbst schützt mich nämlich nichts. Das ereilt mich. Per Zufall. In dem Wissen um die nicht zu beseitigende Zufälligkeit richte ich mich längst ein. Das ist die Wappnung. Die Resilienztheorie jedoch kommt mir vor, als setze sie falsche Schwerpunkte. Wir können doch nicht in Abrede stellen, dass manche Menschen, nachdem ihnen ein Unglück passiert ist, mehr Hilfe als andere benötigen. Aber wie sieht die aus, wenn sie von Vertretern der Resilienz-Abteilung gewährt wird? Und nun kommen wir zu dem, wie ich denke, entscheidenden Sprung: Mein Beispiel war persönlich und betraf meine Fortbewegungssituation in meinem familiären Zusammenhang. Nicht mehr. Behauptet habe ich bislang, dass eine «Wappnung», die sich nicht aus einer Ausputzermentalität speist, in jedem Individuum eine Haltung erzeugen könnte, die Vorstellungen über potenzielle Fährnisse absehbar macht. Und der nächste Schritt auf der individuellen Ebene wäre dann, dass etwas passieren kann, für das ich Hilfe benötige. Das sind jedoch Fälle, die individuell sind. Wie also, frage ich mich, könnte eine Vorstellung von Resilienz über das Individuelle hinausgehen? Wie ließe sich eine Trainingseinheit in eine allgemeinere Form des ante und nicht eines post gießen? Alter Wein in neuen Schläuchen? Und um wen geht es dabei? Wenn wir also, wie ich versucht habe, zu erklären, mit Blick auf Resilienz, darauf zu schauen, was das Individuum anlangt, dann haben wir mit der Vorstellungsgabe des Menschen bereits ein denkbares Feld der Theorie auf einen einfachen wie praktikablen Pfad der Widerlegung gebracht. Wir wissen, dass uns etwas passieren kann. Punktum. Wir wissen ferner, dass jeder auf Unglücke anders reagiert, andere Ansprachen, andere, sagen wir, Therapien benötigt. Jedoch ist es vollkommen unklar, wie die Vorstellung einer Abhärtung, einer im Voraus agierenden Resilienz dazu in der Lage sein könnte, besser, als die ohnehin schon existierenden Mechanismen, uns alle in den Stand zu versetzen, mit den Unwahrscheinlichkeiten des Daseins klarzukommen. Doch darum geht es, oder? Gibt es denn einen besseren Schutz, als den zuvor von mir beschriebenen? Wenn es jedoch um eine Firma geht, dann zieht das alles nicht. Was dann?
Guter Freund, danke für Deine Frage. Was dann, wenn eine Firma, eine Unternehmung sich wappnen möchte? Das, so befürchte ich, ist ein langes, unser Gespräch sprengendes Thema. Denn, eine Unternehmung, die sich wappnen möchte gegen die Unbilden der Zeit, die muss erst einmal lernen. Und oft muss oder müsste sie ihr Führungspersonal austauschen.
Hilfreich finde ich Deinen Hinweis auf die Haltung. Haltung, die ein Mensch, egal welche Aufgabe er erfüllt, einnimmt. Und, würde es uns nicht enorm wappnen, wenn wir lernen würden, negativ zu denken, also kritisch zu denken? Und würde es uns nicht enorm wappnen, wenn wir wüssten, wie wir uns durch Übungen auf die Unbilden der Zeit vorbereiten? Nicht in der Hoffnung, dass alles von uns abperlt, abprallt, sondern in dem Wissen, handeln zu können, wenn das Schicksal oder einfach die Umstände es erfordern? Ist hier nicht eine Lebenskunst gefragt? Hier, so meine ich, setzt Coaching an: Ein Lehrer, der seinen Schüler begleitet, seine Leben als Kunstwerk zu entfalten. Schaue ich auf die Alten, Buddha oder Aurel, die Stoiker, dann finde ich dort eine ganz intensive Beschäftigung mit dem Tod, dem vermeintlich Negativen um sich dadurch auf den Augenblick, den Moment, in jedem Fall das Hier und Jetzt einzustellen/vorzubereiten. In unserer Kultur der «anderen Moderne», wie Wilhelm Schmid schreibt, herrscht ein Zwang des «Positiven» vor. Dieser Zwang, der uns anhält schon vor dem Aufwachen glücklich zu sein, der kritisches Denken als negativ stigmatisiert, lässt uns verlernen, gelassen und mit Kraft, ausgerichtet an Tugenden und dem Gemeinwohl, zu handeln. Was immer auch kommen mag. Das Konzept der Resilienz gleicht in diesem Kontext der magischen Behandlung durch eine Zauberpille: Schluck sie, und alles, was Dir widerfährt, wird von Dir abprallen. In jedem Fall ist die Resilienz-Pille ein guter Baustein im Doktorenköfferchen vieler Coaches, die als Seelenklempner im Auftrag des Neoliberalismus unterwegs sind.
Sehr habe ich es genossen, Deine Antwort zu lesen. Dass die Untersuchung jener Wappnung mit Blick auf Firmen ein Problem darstellt, glaube ich Dir gern. Da könnten wir auch jede Menge Mechanismen hernehmen, die eindeutig belegen, dass Mut nicht die Sache der Unternehmer ist. Vielleicht kennen ihn diejenigen, welche neuen Finanzprodukte entwickeln, aber das verklärt die Grenze zwischen Zockersucht und Mut auf fragwürdige Weise. Wenn jedoch, und dann lasse ich’s dabei bewenden, Unternehmen immer feingliedrigere Instrumente erschaffen, um prognostizistisch Marktsituationen zu analysieren – was naturgemäß nur die Großen können –, dann sieht man, wie aus einer konkurrenzgetriebenen Paranoia ein neues Beratungsprojekt, nämlich die Resilienz-Beratung, werden könnte.
Die Bedeutung von Resilienz im Spannungsfeld des Neoliberalismus
Jetzt sprichst Du, mein Bester, die Lebenskunst an, und ich möchte den Faden aufgreifen und Dir für die Umlenkung auf ein Phänomen danken: die Kritik. Dass der Begriff der Kritik im Alltagsgebrauch negativ belegt ist, strengt an. Denn jeder kritisiert andauernd, wie jeder auch andauernd philosophiert. Und dann verdoppelt sich die Anstrengung, wenn, wie Du trefflich mit Blick auf Schmid sagst, negatives Denken in unserer Gesellschaft verpönt ist. Es ist wohl wirklich so, dass «Think pink» uns in einer Weise beherrscht, die unsere Hirne mit Sirup verklebt hat. Und dabei ist alles im Als-ob. Hinzu treten tatsächlich, Du sprichst die antiken Geister an, Fragestellungen nach unserem Äußersten, das heißt nach unserer Endlichkeit und unserem je spezifischen Todesbezug. Und auch da fallen mir wieder merkantil trächtige Unternehmungen ein, etwa die Extropianer. Eine Art Sekte, die enorme Probleme mit der Endlichkeit hat. Dabei geht es erst einmal nicht um Trost. Den überlassen wir Kirchen oder entsprechenden Lebenshilfebüchern. Ich denke ganz simpel: Der Tod gehört zum Leben, und die Einrichtung und meine Akzeptanz meiner eigenen Endlichkeit lässt mich auch vor der Vorstellung eines unendlichen, ewigen Lebens grausen, wie es die Offenbarungsreligionen anbeten. Im Wissen um die Endlichkeit liegt die Möglichkeit zum authentischen Genuss, zum wirklichen Dasein. Begrenztheit erzeugt im besten Falle eine Präsenz, eine Anwesenheit im Hier-und- Jetzt, die mit Blick auf ein infinites Leben keine Rolle mehr spielt. Was zur Folge hat, dass ohnehin nichts mehr eine Rolle spielt, weil das Leben ja im Jenseits grenzenlos ist. Calvinisten haben das zwar anders gedeutet, sprich der äußere Reichtum sei ein Zeichen für ein gottgefälliges Leben und im besten Fall Signet der Aufnahme in den Club der Auserwählten, doch das Wirtschaften unter jener protestantischen Ideologie ist Zwang mit bekannten Folgen. Also gehen wir doch davon aus, dass uns der positiv konnotierte Tod dazu befähigt, grundsätzlich ein aktiveres Leben zu führen, als jemand, der im Tod nur Negatives sieht. Weil es sein könnte, dass ein Mehr an Intensität im Dasein die Belohnung im Positiven wie Negativen ist. Gehen wir weiter davon aus, dass durch ein derart intensiviertes Leben Missstände intensiver erlebt werden, entsteht doch gleichermaßen ein starker kritischer Impuls, der den Wunsch in sich birgt, ungerechte wie niederträchtige Verhältnisse zum Besseren zu wenden. Gehen wir ferner davon aus, dass intensives Erleben ebenso positive wie negative Erlebnisse umfasst, kommen wir gleichfalls – zumindest im glücklichsten Sinne – zu einer realistischeren Einschätzung unserer Lage, das bedeutet zum einen, endlich zu sein, zum anderen Grenzen zu kennen, zum nächsten die Erfahrungen, die wir gemacht haben, zu integrieren, um daraufhin tatsächlich ohne Not und Umwege für die Unbilden und Fährnisse des Zufalls im Leben gewappnet zu sein. Sollte das alles plausibel sein, besteht kein Grund, sich in ein Trainingscenter zu begeben, das als einziges Ziel hat, abzuhärten, sollte einmal etwas passieren. Aber wie gesagt: Alles steht und fällt mit der Integration des scheinbar Negativen und Positiven hin zu einer Vorstellung des Lebens im Angesicht des Todes. Wer brauchte dann noch Resilienz-Pillen?
Das Gespräch können Sie hier nachlesen
Coaching
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