Gelegentlich stelle ich mir ganz bewusst Kernfragen. Eine lautet beispielsweise: „Was ist Freiheit?“ Das ist natürlich eine unglaublich starke Frage, auf die jeder Mensch seine eigenen Antworten gibt. Jeder besitzt schließlich ein anderes Bild von dieser mächtigen Vokabel. Mir fällt spontan G. ein. Der ist ein Top-Executive-Coach, der eine ganz spezielle Vorstellung davon pflegt, was Souveränität sein soll. Er hat nämlich herausgefunden, dass er ein sehr starkes „Status-Motiv“ sein eigen nennt. Getreu der Methode des „Reiss-Profiling“, mit der er auch Kunden „optimiert“. Daraus nun zieht er die Konsequenz, einen Mercedes Benz S500 AMG zu leasen. Es hätte auch der BMW M 650i sein können. Man bleibt im Rahmen der ohnehin ablaufenden Lebensweise.
Eine Frage der Wahl
Also wie funktioniert das? Wenn mir dieses Profiling das einflüstert, was Werbung ohnehin schafft, frage ich nach der Freiheit für mich. Habe ich mich dann wirklich erkühnt, weise zu sein? Auf den Punkt gefragt: Bin ich einem selbstbestimmten Leben nähergekommen, nur, weil ich vor dem Regal im Supermarkt den linken und nicht den rechten Schokoriegel gewählt habe? Die Parameter der Werbung übertünchen – oft künstlerisch – das Eigentliche des Produkts. Die Werbung können wir je genießen, sofern sie intelligent genug und ästhetisch einwandfrei produziert wurde. Das ändert nichts am Produkt und seinen Folgen. Letztlich sollte ich es sein, der entscheidet, ob etwas wertvoll ist oder nicht. Wenn mich meine Auseinandersetzung mit mir nicht dazu ermuntert, Lebensweisen und feste Meinungen zu hinterfragen, erliege ich einer Fata Morgana.
Der Lohn ist Erkenntnis
Der gute, alte Kant hat 1784, am Vorabend der französischen Revolution, über die Aufklärung nachgedacht. Ich verstehe mittlerweile, vor allem mit Blick auf das, was der Kollege G. so treibt, dass dieses Denken immer noch seine Berechtigung hat. Denn es macht Mut. Nehmen wir doch die Herausforderung Kants an und bedienen uns unseres Verstandes. Dann kommen schon die entscheidenden Fragen: Hat das Auswählen mit Freiheit überhaupt etwas zu tun? Heißt Freiheit nicht auch, nicht nur das Beste für mich, sondern es für andere zu erwirken? Heißt Souveränität nicht auch, dass ich mir vorstellen soll, welche Konsequenzen es hat, wenn mir jemand ein „Status-Motiv“ attestiert? Ist solch ein Leitmotiv nicht genau das, was mich zum passiven Konsumenten formt? Meine Kernfragen verlangen Zeit von mir. Die Belohnung der Antworten ist Erkenntnis. Ich denke, das sind die Pfade aus der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“, wie Kant es nennt. Sie bringen mich jedenfalls der Freiheit und Souveränität näher: weil sie nichts versprechen oder verheißen, was sie nicht halten können.