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Die Welt meinen

Oft rede ich von Welt und meine eigentlich „nur“ den Planeten. Etwa, wenn ich Landkarten betrachte. Mache ich übrigens gern. Und ob ich will oder nicht: Plane ich die nächste Reise, halte ich diese flachen Papiere für die Wirklichkeit.

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Dabei weiß ich noch gar nicht, wie die überhaupt ausschaut. Vielleicht ist es die Karte eines ganz neuen, unbekannten Ziels. Der Urlaub liegt noch in ferner Zukunft. Wie kann ich mir denn anmaßen, die Topografie oder was auch immer zu kennen? Sind denn etwa Karten mit Realität gleichzusetzen?

Sich zurecht finden

Digitale Pläne auf dem Smartphone, im Navi und anderen Maschinen prägen mein zweidimensionales Bild der dreidimensionalen Wirklichkeit nachhaltig. Daraus lässt sich verblüffenderweise schließen: Ich erreiche meine Ziele, obwohl ich ohne Verwechslungen und Irrtümer, ohne Verwerfungen im Sprachgebrauch nicht auskomme. Wir verstehen uns, nicht wahr? Da sehe ich also aus der Vertikalen und interpretiere das Horizontale. Dennoch finde ich mich zurecht. Wie kann das sein?

Mir ist aufgefallen, dass ich mit einer generellen Unschärfeerfahrung lebe – leben muss. Diese erlaubt mir paradoxerweise die Anpassung eines tiefen Blicks auf einen flachen Blick und umgekehrt. Oder ist es gar die Voraussetzung für das Ineinander dieser Sichtweisen? Vielleicht würde es mich erschrecken, wenn ich die Tragweite der Bedeutung dieser verschobenen Perspektiven tatsächlich vollständig ermessen könnte. Was wäre, wenn ich meine Fähigkeit zur Orientierung diesem doch unwiderruflichen und nicht hintergehbaren blinden Fleck verdankte. Der Navigator in mir hat jedenfalls gelernt, automatisch zu projizieren. Er reduziert die Komplexität einer dreidimensionalen Wirklichkeit, die immer auch zeitliche Dimensionen besitzt und Geschichten erzählt, auf ein Koordinatensystem, in dem farbige Flächen und Linien für sich genommen eigentlich gar nichts aussagen, jedenfalls so lange nicht, bis ich aus dem Flugzeug herabschaue und die Adern von Flüssen und Straßen, die grünen Haufen der Wälder und roten Dächer von Dörfern sehe. Aber das ist sicher nicht mein Alltagsblick.

Das Ver-rückte wagen

Wenn ich nun einen Stadtplan von Hamburg zur Hand nehme und mit ihm versuche durch München zu flanieren, könnte ich mich dann wirklich für verrückt halten?