Wenn ich darüber nachdenke, was mir der Schlaf bedeutet, komme ich mit Blick auf meinen Beruf von Hölzchen auf Stöckchen, wie es so schön bildlich heißt. Ein Freund erzählte mir vor kurzem, dass es ihn regelrecht annerve, wenn er seinen Vorgesetzten von Work-Life-Balance schwadronieren höre. Wie wichtig das sei, eine Kultur des Bewusstseins im Unternehmen zu pflegen. Das sei doch stets das Gleiche. Man gehe zur Arbeit und man bekäme dafür seinen Lohn. Punkt. Alles andere sei eben alles andere.
Aber, und damit schloss er den an sich nicht gerade originellen Gedanken kurz, behaupte er, dass er auch während der Arbeitszeit lebe. Es sei doch vollkommener Blödsinn, dass das Leben erst nach Feierabend begänne. Was wäre er denn dann während der vielen Stunden im Office? Eine Drohne, verloren im Kosmos der Selbstlosigkeit? Ein entindividualisierter Sklave der Marktwirtschaft? Das klingt rau, aber ich kann die Empörung sehr gut nachvollziehen. Und eigentlich bin ich seiner Überzeugung, wenn ich mich wirklich befrage. Denn ich möchte schließlich gleichermaßen als lebendiger Mensch mit ebenso lebendigen Menschen arbeiten. In einem menschlichen Kontext, der vor allem eines ist: lebenswert.
Die Umwelt neu denken?
Vielleicht, so spann ich weiter, muss ich dann aber meine Umwelt vollständig anders denken. Stehe ich beispielsweise morgens nach einer durchwachten Nacht auf und fühle mich wie gerädert und gehe den ganzen Tag neben der Spur, hat das nämlich ganz natürlich Auswirkungen auf meine Arbeit. Also allein schon in diesen Situationen sieht man unaufhebbare Zusammenhänge. Wenn ich schreiben oder vor und mit Menschen reden muss, kann dieser Wach-Schlaf-Zustand eines Erschöpften ungeahnt produktive Momente erzeugen, aber wehe ich muss planen. Vor schlaflosen Nächten ist sicher niemand gefeit. Und es kann auch nicht so weit gehen, dass das Bett als Arbeitsgerät von der Steuer abzusetzen ist. In dieser Umkehr ist das nicht zu verstehen. Sicher, wie ich schlafe, so arbeite ich, aber auch hier nicht um jeden Preis.
Die Spaltung überwinden
Also wie ist nun das Verhältnis zwischen Leben und Arbeit zu sehen, wenn es nicht nach Gesetzen der Spaltung in grundsätzlich voneinander geschiedene Lebens- und Arbeitsbereiche geht? Um diese Frage zu klären, müssen wir uns nur auf eine Ebene hieven, auf der wir vorhin schon waren: die Spaltung überwinden. In der Antike gab es den Begriff der Wohlgemutheit, der genau davon handelt – übrigens schon vor schlappen 2500 Jahren bei Demokrit. Und wie ist es dann, wenn ich schlafe, aufwache, nicht Mensch, sondern Arbeiter bin? Und ich komme verschlafen zur Arbeit – dafür hätte dann mein Vorgesetzter kein Verständnis, denn Dienst ist schließlich Dienst. Und Schnaps ist Schnaps. Nein, das funktioniert nicht mehr, und das Reden von Work-Life-Balance erscheint im Licht antiken Denkens als einer der letzten Versuche, überkommene Subordinationsstrukturen weiterhin lebendig zu halten. Dass mein Freund unter solchen Umständen aussteigt, kann ich nur zu gut verstehen, denn die Folgen dieser Einstellung tragen die Krankenkassen bis heute – etwa unter dem Label „Burnout“. Nein, mein Schlaf ist integraler Bestandteil meines ganzen Lebens.