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Feindschaft und Freundschaft – Pole wie Links und Rechts, Schwarz und Weiß. Wir erleben derzeit, dass das einfache Aufteilen von Meinungen in Gut und Böse, Brav und Frech, Fleiß und Faulheit Hochkonjunktur besitzt. Das nennt man im Volksmund Komplexitätsreduktion. Denn leichter und durchschaubarer wird der Alltag mitnichten. Die Globalisierung stellt etwa grundsätzliche Vorstellungen vom Wirtschaften vor ungewohnte Fragen, die wiederum altbewährte Antworten nicht mehr gelten lassen können. Allzu leicht gerät man komplexitätsreduzierend ins Fahrwasser eines reduktionistischen Denkens, das vielleicht in eine Kapitulation vor den vielfältig gewordenen Zusammenhängen und Abhängigkeiten mündet und die selbst erstrebte Erblindung vor den Tatsachen zur Folge hat. Aber natürlich haben wir es nicht leicht! Entgleitet uns nicht etwa das Handeln? Oder anders: Verliert nicht jeder Mensch hierzulande Handlungsoptionen, weil der Chor der Einflüsse auf sein Handeln zu vielstimmig ist? Es gibt genügend Akteure beispielsweise auf politischem Parkett, die eine darauffolgende Orientierungslosigkeit auszunutzen verstehen, indem sie einfältig reduzieren, was eigentlich nicht zu reduzieren ist. Aber von denen will ich nicht reden, vielmehr musste ich jüngst gerade in dieser Hinsicht umdenken.

Herr Putin und Frau Merkel - Freunde fürs Leben sind sie nicht

Gestern besuchte ich M. in seinem Atelier. Er ist Maler. Besser: Er ist auch Maler. Er kommt aus der Werbung und arbeitet als Dozent und Kommunikationsberater. M. kenne ich noch nicht lange. Er hat eine meiner Veranstaltungen besucht, und wir kamen schnell miteinander ins Gespräch. Und genauso flott stellten wir fest, dass unsere Auffassungen darüber, was etwa die Politik angeht, diametral entgegengesetzt sind. Mit Fug und Recht können wir von uns behaupten, dass wir wie Feuer und Wasser sind. Zuordnung flexibel. Nun sagt der Volksmund, Gegensätze zögen sich an. Das aber gilt ja nur bedingt. In diesem Fall lernte ich etwas anderes. Nachdem wir also zunächst über seine und dann über meine Arbeit sprachen und uns auf freundschaftliche Weise kritisierten, kamen wir auf die politische Lage zu sprechen. Eigentlich graute mir ein wenig davor, denn es ist selten angenehm, wenn zwei polare Haltungen aufeinanderprallen. Faszinierenderweise bemerkte ich nach dem Gespräch: Es hat mir erstens nichts ausgemacht, dass ich bei meiner Meinung bleiben musste, zweitens, dass es M., wie er feststellte, genauso ging, und drittens wir beide uns gegenseitig bedankten für diese instruktive wie lebendige Unterhaltung. Produktive Widersprüchlichkeiten nicht ausgeschlossen.

Tag für Tag neue Dissonanzen

Es blieben angenehmerweise die typischen Übertragungen aufs Persönliche aus. Die Feststellung, dass wir uns plötzlich in einen freundlichen, gegenseitigen Perspektivwechsel bewegten, verdankte sich jedoch nicht nur gegenseitiger Sympathie. Denn eigentlich befindet unser Verhältnis gegenwärtig auf der formalen Ebene eines Anfangs. Aus einer anderen Richtung besehen könnte ich sagen, dass mich dieses gemeinsame Denken und Argumentieren aufgrund unterschiedlicher Haltungen fasziniert. Denn es ist nicht so, dass wir uns lediglich die friedliche Koexistenz unserer Auffassungen zugestehen mussten. Im Gegenteil. Und einen Konsens strebten wir gleichfalls in keinem Moment an. Diese beiden unausgesprochenen Bedingungen unseres Redens formten in gewisser Weise das unausgesprochenes Leitmotiv hinter allem. Hinzu trat eines: Ohne Absprache waren wir allerdings bereit für einen Austausch. Oftmals glücken Kontroversen nicht. Man müsse das dann aushalten, heißt es. Aber ist es immer so dramatisch, gegensätzlich zu denken und es auch vom anderen zu wissen?

Dissonanzen entstehen mit jedem Tag neu. Und oftmals lassen sie sich eben nicht auflösen, es sei denn, man ist dazu in der Lage, sich an sie zu gewöhnen. Psychologen werden bestätigen, dass das sogar automatisch passiert, aber auf diese Ebene denke ich das Gespräch eben nicht. Leicht lässt sich fraternisieren. Fehlanzeige hier. Selbst im Polaren offenbaren sich Verschiedenheiten, die Ebenen andernorts anzeigen und Überschneidungen ermöglichen. Wenn im Inhaltlichen keine Kongruenz bestand, in der Kultur der gemeinsamen Rede gab es eine entsprechende Regelakzeptanz. Nachtreten? Überreden? Das nun gerade nicht. Was mich jedoch dann auch noch auf höherer Ebene irritiert, ist die daraus resultierende Frage, ob nicht wieder einmal die Form über den Inhalt triumphiert.