Was ich an K. mag, ist seine wunderbare Offenheit. Natürlich gibt es Zeitgenossen, die es einem nicht leicht machen, weil sie diese Eigenschaft mit einer Überschreitung der Grenze zur Vertraulichkeit verwechseln. K. ist nicht so. Daher war es mir keineswegs unangenehm, als er mir kürzlich mit einem Stoßseufzer berichtete: „Ok, ich geb’s zu, ich bin total überfordert! Über zehn Jahre hatte ich einen Hund, und nun kommt ein Welpe ins Haus, und plötzlich ist fast alles Gelernte von damals für die Katz.“ Alles sei komplett anders, als erwartet. Nach über einer Woche in steter Angst davor, etwas falsch zu machen, mit dem Gefühl der dauernden Überlastung, wenn der Vierbeiner trotz seines steten Befolgens der Tipps aus Büchern von „Hundeflüsterern“ nicht auf seine Körpersprache reagierte; mit Gram, wenn er nicht bemerkt hatte, dass das Tier nur leise Zeichen der Notdurft gab und einmal mehr die Wohnung als Klo präferierte; mit unterbrochenem Schlaf, Wachphasen zu unmöglichen Zeiten: „Nach diesen unzähligen kleinen wie größeren Ängsten und Unfällen, die einen das Schöne, das Angenehme, das Verrückte allzuleicht vergessen lassen, freue ich mich auf das kommende Wochenende: Hundeschule“, atmete der sichtlich erschöpfte Mann tief aus.
Seine Erwartungen sind hoch. Eine Analyse seines Gebarens und der Gesten wie Laute wünscht er sich. Er sei sich sicher, dass das, was er praktiziere, nicht der Weisheit letzter Schluss sein können und sein Hund mit allem, was er von sich gebe, genauso wie er überfordert sei. Sein nachvollziehbares Fazit: „Es kann nicht sein, dass wir – uns wechselseitig im Negativen bestärkend –, nebeneinander und offenen Auges ins Chaos rennen.“
Vorgestern traf ich G., der bisweilen mit K. zusammenarbeitet. K. hätte es besser bleiben gelassen, G. vom Hund zu erzählen. Denn der lachte recht unpassend hämisch, verglich Hunde umgehend reflexhaft mit Kindern und meinte, dass K. ein Weichei sei und immer schon Defizite im Führen gehabt hätte, weswegen er ja auch nicht im wirklichen Leben unterwegs sei, sondern als Coach. Eine hinreichende Begründung für einen Vergleich zwischen dem Einsatz von Übermacht und Herrschaft in der Erziehung von Hunden zu Partnern noch bei der Begleitung von Kindern auf dem Weg ins Erwachsensein blieb G. schuldig.
Was die Leute aus dem Silicon Valley nicht verstehen
Es lässt sich allerdings an dieser Rede etwas ablesen. Mich erinnern diese simplen Antworten auf relativ verdrehte und verschlungene Sachverhalte immer an diese Leute aus Silicon Valley, die meinen, man könne alle Fragen der Conditio Humana oder des Menschlichen auf maximal zwei Zustände reduzieren. Und die Technik wird’s schon richten… Wie beispielsweise die Transhumanisten oder Extropianer meinen. An und Aus! Und alle Fragen regelt der Rechner. Und damit geht eine Moral Hand in Hand, die nur zwei Werte kennt. Wie wichtig die Überwindung der Zweiwertigkeit im Rahmen von sozialen Beziehungen ist, belegt mir die wechselseitige Aktivität zwischen K. und seinem Hund, selbst wenn Vergleiche zwischen Tier-Mensch-Kommunikation und Mensch-Mensch-Kommunikation nicht nur hinken, sondern die Angelegenheit viel zu sehr vereinfachen. Doch K. lernt von seinem Tier etwas Anderes. Es gibt kein Wahr oder Falsch in reiner Form. Genauso wenig kann ich beim Coaching Situationen in dieser Weise untersuchen, um dann dem Kunden zu ein alles glattbügelndes Wenn-Dann-Schema zu empfehlen.
Nichtsprachliche Kommunikationsstrukturen als Ausgangspunkt
Wenn ich darüber nachdenke, in welchem Verhältnis also das Hunde-zu-Mensch- und das Mensch-zu-Mensch-Miteinander zueinander in Beziehung stehen, überschreitet das, was ich aus Ks. Erzählung und aus Gs. Reaktion gelernt habe, die simple Metapher, dass ein Hund auch nur so etwas wie ein Kind sei. Eher noch erkenne ich Strukturen, die es leichter machen, positiv agierend zu werden, und das lässt sich eben mit einem binären Plus-Minus-Denken nicht angemessen darstellen: Weg vom Schuld-Sühne-Prinzip. Freiräume gewähren, ohne aufzugeben, Räume zu definieren. Scheinbar Falsches nicht als solches sehen, sondern im Kontext von einer höheren Warte als Hinweis, als Baustein in der Kommunikation erkennen und bei Bedarf hinterfragen. Die Liste lässt sich selbstverständlich beliebig verlängern. Wenn ich vermitteln kann, dass es sehr hilfreich ist, verkrustete Strukturen hinter sich zu lassen, wohlgemerkt ohne ihre Existenz zu verleugnen, bin ich weiter. Es mag sein, dass das nur ein schiefes Bild ist. Aber die nichtsprachlichen Kommunikationsstrukturen als Ausgangspunkt und Abstraktion jener vielwertigen Ebenen des Austauschs hat es mich sehr bereichert, und ich wünsche K., dass die Beziehung zu seinem neuen Mitbewohner fruchtbar wird. Woran ich allerdings keinen Zweifel hege.