Die Geometrie der Überlegenheit
Das Bild zeigt verschiedene Dreiecke, die symbolisch für unterschiedliche Kräfte stehen und in einem Konflikt miteinander verbunden sind. Die kräftigen Farben und der düstere Hintergrund drücken die Spannung und die Dynamik dieser Machtspiele aus, während Elemente des Empowerments Hoffnung und positive Energie hervorheben.

Die Geometrie der Überlegenheit

Wie Machtspieler dich zum Eckpunkt machen – und was du daraus machst

Wenn Beziehungen geometrisch werden

In der Arena menschlicher Interaktionen spielen wir alle gelegentlich Geometrie. Dreiecke scheinen dabei besonders beliebt. Das Drama-Dreieck und sein aufmüpfiger Cousin, das Empowerment-Dreieck (3VQ), zeichnen Landkarten unserer sozialen Manöver. Beide kartieren das gleiche Terrain – Macht – aber mit unterschiedlichen Legenden.

Die Vordenker: Berne und Karpman – Psychologische Kartographen

Bevor wir zu den Dreiecken kommen: ein kurzer Blick in den Maschinenraum. Eric Berne, Gründervater der Transaktionsanalyse, entlarvte in den 1950ern unsere „Spiele“. Nicht die spaßigen mit Würfeln – die anderen. Die, bei denen niemand gewinnt, aber alle mitspielen.
Stephen Karpman, sein brillanter Schüler, komprimierte diese Einsicht 1968 zum Drama-Dreieck. Ein theoretisches Destillat menschlicher Verstrickung. Drei Rollen, endlose Variationen. Psychologische Geometrie auf Cocktailservietten skizziert, die Geschichte schweigt über den Alkoholgehalt des Getränks.
Bernes Vermächtnis: „Spiele der Erwachsenen“ – ein Bestseller, der bewies, dass wir unsere Kinderspiele nie wirklich aufgeben, sondern nur die Einsätze erhöhen. Karpmans Beitrag: Er gab uns ein präzises Koordinatensystem für unsere Irrfahrten. Zwei Männer, eine Mission: Das Unsichtbare sichtbar machen. Macht beim Namen nennen.

Das Drama-Dreieck: Die altbewährte Machtzirkulation

Stephen Karpmans Drama-Dreieck serviert uns ein psychologisches Drei-Gänge-Menü: das hilflose Opfer, die anklagenden Schurk*innen (traditionell Verfolger genannt) und die vermeintlich edlen Retter*innen. Ein Theaterstück in Endlosschleife, bei dem die Schauspieler munter die Rollen tauschen. Der Applaus? Bleibt meist aus. Im Zentrum dieses Dreiaktdramas steht Macht – oder präziser: ihr verstecktes Spiel. Das Opfer, scheinbar machtlos, dirigiert durch seine Hilflosigkeit. Die Schurk*innen herrschen durch Anklage. Die Retter*innen kolonisieren durch Fürsorge. Niemand trägt ein Schild mit „Macht ausübend“ – und doch tun es alle. Die Bewohner dieses Dreiecks teilen eine Obsession: Probleme. Sie fixieren sich auf Machtlosigkeit, reagieren statt zu agieren, produzieren Drama statt Ergebnisse. Eine Tretmühle mit Theaterbeleuchtung. Als Gegenentwurf entwickelte David Emerald die „Empowerment Dynamic“, kurz TED*. Klingt wie ein Upgrade – Drama-Dreieck 2.0, jetzt mit weniger Nebenwirkungen.
Das Drama-Dreieck legitimiert Macht durch Verschleierung. Es lässt uns glauben, das Opfer sei wirklich machtlos, der Verfolger im Recht und der Retter altruistisch. Eine meisterhafte Illusion.

Das Empowerment-Dreieck: Revolution oder Rebranding?

Die Methode 3VQ – „Die 3 vitalen Fragen“ – oder eleganter formuliert: TED* (The Empowerment Dynamic) versteht sich als Gegenentwurf. David Emerald, ihr Erfinder, zaubert aus dem Opfer einen Gestalter, aus dem Verfolger einen Herausforderer, aus dem Retter einen Coach. Klingt nach Fortschritt. Ist es das?
Die 3VQ-Methode definiert Macht neu: als geteilte Ressource statt als Nullsummenspiel. Macht fließt hier nicht von oben nach unten, sondern zirkuliert wie Bargeld auf einer Geburtstagsfeier. Sie legitimiert Macht durch Transparenz und Konsens – zumindest theoretisch.

Tanzschritte im Machtballett: Der große Rollenwechsel

Die 3 Vital Questions (3VQ) versprechen mehr als theoretische Erleuchtung – sie bieten praktische Navigationshilfe im Minenfeld zwischenmenschlicher Dynamiken. Ihr Kernversprechen: Rollenerkennung und Rollenwechsel.
Der erste Schritt zur Heilung ist Diagnose. „In welcher Drama-Rolle stecke ich gerade fest?“ Diese simple Frage – ein psychologischer Lackmustest – entlarvt unsere unbewussten Machtspiele. Stecke ich im Opfersumpf? Poliere ich gerade meine Verfolgerkrallen? Oder glänzt mein Retterumhang im Scheinwerferlicht?
Erkannt, gebannt. Die Methode bietet Fluchtrouten aus dem Drama-Sumpf. Vom Opfer zum Gestalter – ein Karrieresprung in Sachen Selbstwirksamkeit. Vom Verfolger zum Herausforderer – aggressive Energie veredelt wie Kohle zu Diamant. Vom Retter zum Coach – Hilfe ohne Heldengehabe, ein Wunder moderner Alchemie. Doch hier lauert eine Falle. Im Rollentausch bleibt das Spiel intakt. Die Kostüme ändern sich, das Stück läuft weiter. Der Gestalter ist immer noch im gleichen Drama, nur mit besseren Dialogzeilen. Ein Umzug innerhalb des gleichen Gefängnisses – schönere Zelle, gleiche Mauern.
Wahre Transformation bräuchte vielleicht mehr als Rollenwechsel. Sie bräuchte Drehbuchänderung. Oder noch radikaler: Theaterwechsel. Aber das steht nicht im Methodenhandbuch.

Hierarchiesysteme: Die unvermeidbare Machtfabrik

Unabhängig von psychologischen Modellen gilt: Wo Hierarchie ist, da ist auch Macht. Organisationen, Familien, Staaten – sie alle produzieren Machtgefälle wie Fabriken Abgase. Ein Naturgesetz sozialer Physik. Jedes Organigramm ist im Grunde ein Geständnis. Es gesteht: „Ja, hier gibt es ein Oben und ein Unten.“ Die Machtpyramide – seit den Pharaonen bewährt, nur die Spitzenposition ist heute klimatisiert. Hierarchien begründen ihre Existenz mit Effizienz und Klarheit. „Jemand muss entscheiden!“ Stimmt. Aber warum immer die gleichen Jemande? Die Antwort nennt sich „strukturelle Gewalt“ – ein Begriff so elegant wie ein Samthandschuh über einer Eisenfaust. Das Drama-Dreieck passt perfekt in hierarchische Strukturen. Es spiegelt und reproduziert bestehende Machtverteilungen. Der Chef als Verfolger, der Angestellte als Opfer, die Personalabteilung als Retter – ein klassisches Bürodrama, täglich aufgeführt unter Neonlicht.
Und TED*? Kann ein Gestalter tatsächlich gestalten ohne Budget? Ein Herausforderer herausfordern ohne Kündigungsschutz? Ein Coach coachen ohne Mandat? Die strukturellen Grenzen der psychologischen Modelle werden hier sichtbar wie ein Bikini im Schneesturm. Die bittere Pointe: Während wir eifrig unsere psychologischen Rollen transformieren, bleibt das Bühnenbild unverändert. Die Hierarchie lächelt milde über unsere Bemühungen – wie ein Schachspieler über die Rochade eines Bauern. Selbst flache Hierarchien sind letztlich nur Hierarchien mit Rückenschmerzen – sie bücken sich, bleiben aber im Wesen gleich. Die Macht hat sich nur umgezogen, von Anzug und Krawatte in Hoodie und Sneakers.
Können psychologische Modelle wie TED* diesen Kreislauf durchbrechen? Oder sind sie nur homöopathische Tropfen im Ozean struktureller Ungleichheit? Die Antwort liegt vielleicht in der Frage: Wer profitiert davon, dass wir uns besser fühlen, ohne dass sich die Strukturen ändern?

Kritische Bestandsaufnahme

Das Drama-Dreieck ist ehrlich in seiner Unehrlichkeit. Es zeigt, wie Macht tatsächlich funktioniert: verdeckt, wechselnd, manipulativ. Ein Spiegel gesellschaftlicher Realität, kein Gegenmittel. Emeralds TED* (The Empowerment Dynamic) mit seinen drei vitalen Fragen verspricht mehr. Es stellt Macht in Frage, macht sie sichtbar, verhandelt sie neu. Doch bleibt der Verdacht: Ist das Empowerment-Dreieck nicht einfach ein Drama-Dreieck mit besserer PR-Abteilung? Eine Namensänderung auf der Visitenkarte, während die Jobbeschreibung gleich bleibt?
Letztlich hängt alles davon ab, ob 3VQ die Machtfrage nur individualisiert oder tatsächlich strukturell stellt. Kann sie hierarchische Machtproduktion unterbrechen oder nur deren Symptome lindern? Die Antwort bleibt offen – wie ein gutes Drama.

Epilog: Die Dreiecke in uns

Vielleicht ist die entscheidende Frage nicht, welches Dreieck besser ist. Sondern welches ehrlicher ist. Und welchem wir ehrlicher begegnen. Drama und Empowerment – zwei Seiten einer geometrischen Medaille. Beide kartieren Macht. Eines mit düsterer Genauigkeit, eines mit hoffnungsvoller Unschärfe. Karpman analysierte, was ist. Emerald entwarf, was sein könnte. Beide haben recht.
Die Dreiecke tanzen weiter – in Büros, Familien, Parlamenten. Wir wechseln die Rollen wie Hemden. Opfer zum Frühstück, Gestalter zum Mittag, Retter zum Abend, Herausforderer kurz vor Schlafenszeit. Das Drama endet nie ganz, das Empowerment beginnt nie vollständig.
Was bleibt? Die Erkenntnis, dass Macht nicht verschwindet. Nur ihre Kostüme wechseln. Und die Fähigkeit, beim nächsten Rollenwechsel kurz innezuhalten und zu fragen: Wessen Skript spiele ich eigentlich? Und – falls ich es gewählt habe – zu welchem Preis?

Nachbemerkung: Mein persönliches Dreieck

Ich trage das 3VQ-Abzeichen am Revers. Stolz und skeptisch zugleich – die Geometrie der Ambivalenz. In Bürogräbern und Meetingsärgen haucht die Methode frischen Atem in verbrauchte Lungenflügel. Eine Überlebenstaktik im Dschungel der Hierarchien, ein Floß im Ozean der Unternehmensstürme. Die vitalen Fragen impfen gegen akute Opferitis, chronische Rettungskomplexe und pandemische Verfolgungswut. Ein psychologischer Beipackzettel für Arbeitsnebenwirkungen. Doch wenn Führungskräfte zu Coaches mutieren, wird’s metaphysisch dubios. Wie Schiedsrichter, die plötzlich Tore schießen – und trotzdem pfeifen dürfen. Ein Rollenwechsel, der an Transubstantiation grenzt: Die Macht verwandelt sich, bleibt aber präsent. Ghost Lightning in seiner elegantesten Form – der Blitz tarnt sich als Wetterleuchten.
Mein Dreieck bleibt unvollendet. Die vierte Ecke fehlt – jene, die über das Psychologische hinausweist. Ins Strukturelle, Kollektive, Politische. Die eigentliche Herausforderung wartet dort, wo die Geometrie ihre Grenzen findet.