Es ist nicht das erste Mal, dass mir folgende denkbare Aufgabe durch den Kopf schießt: zu berechnen, oder vielleicht besser: zu ermitteln, was das gelungene Verhältnis zwischen Stetigkeit und Veränderung, Tradition und Innovation, Statik und Dynamik bei der Gestaltung eines Arbeitsplatzes ist. Was mir relativ schnell einleuchtet: Es gibt einen nicht zu unterschätzenden Benefit allein durch die Veränderung der Umgebungen. Da muss ich mich immer aufs Neue anderen Bedingungen stellen. Das hält einen fit im Denken, denn wer könnte etwas gegen das Erlernen neuer Fähigkeiten sagen?
Gab es noch vor wenigen Jahrzehnten Arbeiter, die quasi ihr komplettes Berufsleben lang an einer einzigen Maschine schufteten, besitzen Unternehmen heute eine gewisse Aufmerksamkeit gegenüber diesen stupiden, niemals sich verändernden, automatisierten Käfigen und ersetzen sie. Und wahrscheinlich sind die meisten davon ohnehin schon der Rationalisierung zum Opfer gefallen – oder es gibt sie einfach hierzulande nicht mehr, weil die Bedienung der Fließbänder, Sägen oder Ziehbänke in Deutschland einfach zu teuer geworden ist. Schon längst existieren Fabriken, das BMW-Werk in Leipzig etwa, das ich vor ein paar Jahren mal besuchte, in dem die Arbeiter regelmäßig rotieren. Das vermittelt den Eindruck von Bestätigung, steigert die Leistungsfähigkeit des Einzelnen und erhöht damit auch den Profit.
Schöne neue Arbeitswelt
Da mich informatische Fragestellungen und vor allem ihre Umsetzung in Alltagsumgebungen interessieren, verfolge ich zumindest sporadisch die Debatten um die Industrie 4.0. In Fabriken, die gemäß diesem Prinzip aufgebaut sind, gibt es keine Statik mit Blick auf die Werkbank. Im Gegenteil: Der Arbeitnehmer der Zukunft kennt nur noch den steten Wandel. Seine Aufgaben mutieren vom Bediener einer Maschine zum Programmierer. Ungelernt wird niemand mehr einen Blumentopf gewinnen, und da wir Kunden stets intensivere Personalisierung von Produkten, Autos etwa, erwarten, steigt proportional die Verantwortung. Der Käufer hat die Freiheit und wird selbst zum gestaltenden König seines zukünftigen Eigentums. Der Arbeiter hingegen wird zu einem ausgelasteten Menschen, der als Individuum ernst genommen wird, Abwechslung erlebt, durch sich wandelnde Herausforderungen stets neue Meriten erwerben kann, auf diese Weise menschlicher behandelt wird und somit glücklicher sein sollte, als jemals zuvor.
Das pervertierte Versprechen
Derartig optimistische Vorstellungen wecken mein Misstrauen. Bilder dieser schönen neuen Welt der Internet-Unternehmen, Flipper auf dem Flur, Massagen auf Wunsch, und jede Woche ein neues, dann doch gescheitertes Projekt auf dem Tisch, geistern durch meinen Kopf. Am Ende hat es der Onkel Doktor dann vielleicht mit einem 32-Jährigen Herzinfarktler zutun, der schlichtweg verheizt wurde. Es ist ja nicht so, dass die Impulse zur Selbstzerstörung nur aus der Unternehmensspitze kommen. Hartmut Rosa, der feinfühlige Seismograf unserer Gegenwart bringt es auf den Punkt: „Das Versprechen des Reichtums und des technischen Fortschritts war, uns frei zu machen, so zu leben, wie wir wollen. Wenn wir uns aber ständig ändern müssen, um uns den selbst geschaffenen Zwängen anzupassen, ist dieses Versprechen pervertiert. Dann leben wir nicht mehr, wie wir wollen, sondern wie eine von uns selbst in Gang gesetzte Maschine es erzwingt.“ Das allerdings meint tatsächlich das innere Räderwerk unserer Gesellschaft, an der wir alle mitwirken.