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Heute muss ich an einen Freund denken, der durchs System gerauscht ist. Diesen Menschen schätze ich sehr, weil er aufrichtig ist und ein Standing besitzt, sich nicht zu verleugnen, etwa um der Bequemlichkeit willen. Das Problem an dieser heroisch anmutenden Einstellung zum Leben, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, sind die Folgen. Es gibt in der Regel niemanden, der ein solches Verhalten goutiert. Es mag simpel erscheinen, aber die Erfolglosigkeit am Ende seiner  Karriere, die aufgrund dieser Aufrichtigkeit in einer Sackgasse endete, besitzt ihre Ursache in vor allem einem: der Unwilligkeit von beispielsweise potenziellen Arbeitgebern mit Vertrauen diese aufrichtige Position wirklich beim Wort zu nehmen und es als Qualität nicht nur anzuerkennen, sondern auch zu fördern.

Zwischen Lust und Schmerz

Am Wochenende verriet mir V. eine Geschichte aus seiner Vergangenheit. Damals arbeitete er in der PR. Auf einem Lobbyistentreffen machte er die Bekanntschaft mit einem der Geschäftsführer einer Agentur. Der lud V. in den Betrieb ein. Ganz unverbindlich sollte über ein denkbares gemeinsames Projekt gesprochen werden. Dann waren drei Menschen im Konferenzraum: beide Geschäftsführer und jemand aus der Personalabteilung, und somit fand sich V. ungewollt und unvorbereitet in einem „echten“ Vorstellungsgespräch wieder. Ihm wurde ein Papier mit diversen Aufgaben vorgelegt, die er per Auswahl aus vorgegebenen Antworten lösen sollte. Gefragt danach, warum er im Fall von Frage 3 nichts angekreuzt habe, meinte V., die Frage an sich sei widersinnig. Er berichtete, dass damit das Ende des Gesprächs beschlossen war.

Der Glauben an vorgegebene Schemata

Eine bittere Erfahrung. In dieser Agentur nutzt man die Situation und konfrontiert einen Unbekannten mit einer Vorstellung, die in keiner Weise mit der Absprache zuvor kongruent war. Vielleicht wollte V. gar nicht eingestellt werden? Was also bewegt Geschäftsführer dazu, eine derartige Gegebenheit zu provozieren? Doch was die größte Widersinnigkeit darstellt, ist die Gläubigkeit dieser Menschen gegenüber vorgegebenen Schemata, denn die Multiple-Choice-Tests sind ja in der Regel käuflich und dienen der Prüfung auf der Grundlage scheinbar normierter Bedingungen. Doch gehen diese Instrumente sofort zu Bruch, wenn sich ein Mensch dazu bemüßigt fühlt, eine übergeordnete Ebene zu erklimmen und die Fragerichtungen selbst zu hinterfragen. Das allerdings nennt man in anderen Zusammenhängen Weisheit, aber auch Intelligenz. In Firmenkontexten scheint es eher verpönt zu sein.

Als ich die Geschichte vernahm, hat mich nicht nur erschüttert, dass man mit einer aufrichtigen Haltung hierzulande keinen Blumentopf gewinnt. Allerdings viel aufwühlender fand ich die daraus herauszulesende Gläubigkeit an ein Subalternentum. Denn auf nichts anderes ließ diese Aktion schließen: Das Unternehmen brauchte für ein Projekt eine arbeitswillige Drohne, die unreflektiert, dumm ohne schöpferisch mitzudenken ihren vorgegebenen Dienst verrichtet. Und so etwas in einem Gewerbe, das sich heute gern ins Zentrum der so genannten „Kreativwirtschaft“ positioniert. Doch bei allem Ärger über die unterschiedlichen Aspekte, die der Verhalt anspricht, kann ich nicht einfach an dieser Stelle stehenbleiben. Die emotionale Seite ist verständlich. Man kann sich identifizieren, aber eines ist auch klar: Das Leben ist kein Ponyhof, wie es so schön heißt, und dass man sich bemüht, Vorteile zu erwirken, sollte niemanden verwundern.

Die Regeln mit-bestimmen

Gehe ich nämlich die Sache von Grund auf an, stellt sich als erstes die Frage, warum V. nicht gleich zu Beginn Einfluss auf die Regeln genommen, die zuvor scheinbar ausgemacht waren. Das ist einer der höchst kritischen Momente, denn dann schreitet man ein, bevor der erste Schritt in Richtung Übereinkunft gegangen ist. Vorstellbar ist die Haltung, dass man stets freundlich und höflich annimmt, was gesetzt wird. Dabei ist das alles nur fair. V. geht mit einer Vorstellung einer losen Verabredung ins Gespräch, also hätte er vor allem sein Rüstzeug in Anschlag bringen müssen: Warum sitzen wir konkret hier. Geht es darum, das Gespräch aus dem Meeting fortzusetzen? Was wäre denn gewesen, wenn von vornherein die Situation vollständig, quasi vertraglich, geregelt gewesen wäre? Etwa in Form mündlicher Vereinbarungen? Eigennutz zügelt man eben nur  durch reguliertes Verhalten durch ein Medium, einen Dritten, eine externe Instanz. Mit Blick auf diese Situation meint das, man verlagert das verbindliche Geschehen aus in Verträge, die dann entweder gezeichnet, oder in die Ablage Rund geworfen werden.