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Die Projektisierung des Lebens: Wie agile Methoden und Barcamps unsere Demokratie bedrohen.

Der Eindruck, das Leben sei ein Projekt, ist trügerisch, wenn nicht falsch. Wohl wahr ist, dass das Leben als Projekt zu führen sei und gerne in Teilprojekte gegliedert werden kann. Einher geht diese Bestrebung mit Ideen aus der Toyota-Fabrik und nachgelagerten Methoden wie Scrum etc. Projekte müssen schlank, effizient und einfach organisiert werden, um erfolgversprechend zu sein. Diese Ansätze werden immer mehr zur Blaupause für ein gelungenes Leben, zufriedene Konsumenten, (schein)demokratische Prozesse. Diese Prozesssualisierung und Projektisierung nimmt totalitäre, allumfassende Ausmaße an.

Über Verantwortung und Kontrolle

Die kleinteilige Organisierung des Lebens in Projekte, Challenges, Abenteuer und Camps löst das Leben aus einem umfänglichen, größeren Verständnis heraus und überführt es in überschaubare Erreichbarkeitsziele. Das Göttliche, also ein Gott, wird obsolet und ist längst durch einen religiös organisierten Kapitalismus ersetzt worden.

Barcamps, Wellness-Wochenenden, Konferenzen und ähnliche Formate gleichen immer mehr Sektenzusammenkünften. Auf der Bühne steht der Prediger, und das Auditorium hängt an seinen Lippen. Barcamps kaschieren diese Frontalbeschallung durch Pseudo-Mitmach-Zeremonien. Hier krankt das Emanzipatorische an der autoritären Unfähigkeit der Protagonisten.

Sich Zeit zu nehmen ist ein wesentliches Merkmal demokratischer Meinungs- und Entscheidungsbildungsprozesse. Sei es, um einen Kompromiss zu erlangen, sei es um im Konsens bzw. Konsent handeln zu können.

Projekte und schlanke Methoden nehmen genau diesen Zeitaspekt weg. Mehr noch: Agile-Methoden sind ein Totalangriff auf die Zeit.

Es droht der Verlust der Zeit

Was nun passiert, wenn die Zeit zum Denken fehlt? Wenn demokratische Meinungsbildungsprozesse verschlankt werden? Wenn Produkte ewig «beta» sind? Wenn das Warum, also der Sinn einer Sache, nicht mehr befragt werden kann? Wenn Techniken Handlungen bestimmen?

Etwas Totalitäres entsteht. Schleichend und kaschiert durch Phrasen wie New Work und dadurch scheinbar ermöglichter Freiheit, die sich doch nur auf das Arbeiten selbst bezieht und mit Freiheit so gar nichts zu tun hat. Die Frage ist, wann aus gierigen totalitäre Organisationen werden!

Sprachlich bewegen wir uns längst in totalitären Zeiten. Soziale Medien kennen nur den Superlativ.

So kann auf Barcamps behauptet werden, man müsse Probleme nur klein genug schneiden, damit sie verschwinden, da der Moment keine Probleme kenne! Das ist der Punkt, wo der Moment an sich ein Problem wird.

Hoffnungsträger oder Totalverlust?

Das bürgerliche Subjekt, wenn es sich denn um dieses handelt, wird zum reinen Träger von Effizienz und Leistung, einem Zustand, dem dieses Subjekt schon einmal anheimgefallen ist. Ob dadurch die stets vorhandenen Ressentiments gegen den Kulturmarxismus, die Links-Grün-Versifften, die Antifa etc. Auftrieb erhalten, sei hier als Frage gestellt. Was wir festhalten können, ist die unsägliche Flachheit der Diskurse, der Erkenntnisse und der Ziele. Wir haben es allerorts mit Propaganda zu tun, die die systematische Stimulanz des Wunsches nach autoritären Personen bedeutet. Wie Löwenthal schrieb: «Man macht den Menschen neurotisch und psychotisch und schließlich abhängig von ihren sogenannten Führern.»

Was sich in den Projekten, den Barcamps und den agilen Methoden fortschreibt und geradezu manifestiert, ist die Kränkung der Subjekte. Was Adorno der Automation zuschrieb, findet seine gesteigerte Fortführung in der Digitalisierung, die menschliche Arbeit, und hier vor allem die der sog. Wissensarbeiter, in prekäre Bereiche verdrängt.

Erschreckend an alledem ist, das die Propaganda der digitalen Verheißungen (hier seien Elon Musk, Jeff Bezos oder Gabor Jánszky erwähnt) fatal den Propagandastrategien der Rechtsradikalen (vor allem der amerikanischen; die deutschen sind da etwas rückständiger) ähnelt: Man folgt keiner diskursiven Logik, sondern bietet eine Art Gedankenflucht an. Adorno konstatierte schon in den späten 1960er-Jahren die Kombination einer außerordentlichen Perfektion der Mittel mit einer völligen Abstrusität der Zwecke.

Unter der Oberfläche der digitalen Zustände (Internet) zeichnet sich genau diese Konstellation von rationalen Mitteln und irrationalen Zwecken ab.

Lesenswert: Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, Suhrkamp 2019

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