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Verzweifelt zu sein, ist keine schöne Angelegenheit. Das Gefühl koppelt Ohnmacht mit Angst vor dem, was noch kommen wird, mit dem Grauen der Gegenwart. Und gelegentlich verlässt einen der Mut, angesichts so zahlreicher und teilweise tiefschürfender Umwälzungen, denen unsere Gesellschaft sich ausgesetzt sieht.

Technik als Notfall oder Notfall durch Technik?

Mein Freund F. besuchte mich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Es galt einen Vortrag vorzubereiten. Er sollte darlegen, mit welchen auch technischen Fragestellungen Führungsteams in Zukunft zu rechnen hätten. Im Groben stand mein Plan, das Für und Wider etwa von neuen Devices mit Blick auf die zu erwartende Veränderung der Teamdynamik zu überprüfen. Dann läutete das Telefon. F. meinte kopfschüttelnd, wenn es so weitergehe, mache er das einfach nicht mehr mit. In seinem Betrieb werde ein so radikales Durchleuchten aller von allen gefordert, dass er sich mittlerweile an den Roman „Der Circle“ von Dave Eggers erinnert fühlte. In seinem Team ist ein junger, recht ehrgeiziger Mitarbeiter, der sich für berufen hält, das firmeninterne Kommunikationsverhalten akribisch auszuwerten. Und dann gebe es Gespräche, die an Beichten oder die Inquisition erinnerten. Mir lief es kalt den Rücken herunter. Sicher ist in dem Roman alles noch um einiges heftiger.

Freude auf den goldenen Käfig

Doch, so berichtete F., sah er das Leuchten in den Augen von G., als der erfuhr, dass im Rahmen des neuen Gesundheitsprogramms jeder freiwillig mit Fitnessarmbändern ausgestattet werden würde. „Weißt Du“, seufzte er, „ein paar Jahre noch, und alle hier sind in ihren goldenen Käfigen und denken, sie hätten alle Freiheiten der Welt.“ Und dann wären alle Schleusen dem gegenseitigen, liebgemeinten Bespitzeln und dem daraus resultierenden sozialen Druck geöffnet. Mit dem Ende, dass wahrscheinlich noch mehr Menschen psychisch krank werden. F. raufte sich die Haare, denn in gewisser Weise spürt er den so genannten Innovationsdruck Tag für Tag. Und das für ihn derzeit Bittere: Er ist einer derjenigen, die mit darüber entscheiden, was letztlich passiert in der Firma. „Ich kann einen Satz nicht mehr hören, nämlich den, dass sich technischer Fortschritt nicht mehr aufhalten ließe.“

Technik nur, wenn es sinnvoll ist

Wenn ich ihm da nicht Recht geben muss! Heureka. Wer das behauptet, gibt jede Verantwortung sowie das Denken darüber an andere ab. Fs. Schlussfolgerung konnte ich jedoch nicht ganz teilen. Denn für ihn wäre es wichtig, generell den Einsatz von Technik nur in dem Fall zu erlauben, wenn es sinnvoll ist. Da gab ich zu bedenken: „Kannst du denn immer erwarten, dass du alle Folgen vorhersehen kannst? Und kannst du immer sinnvolle von unsinniger oder überflüssiger Verwendung unterscheiden?“ Mir kam das so vor, als habe er eine vollständig andere Gesellschaft im Kopf, die sich ziemlich tiefgreifend vom kapitalistischen Prinzip verabschiedet hat. Und ich spürte, dass er sich als Führungskraft vor dem jungen Überwachungsnerd G. fürchtete. Und dann wusste ich, wo der Hase im Pfeffer lag und zog meine Schlüsse. Die Frage, ob technische Innovation zu stoppen ist, überlasse ich Philosophen.

Überwachung und Kontrolle

Wenn ich jedoch nicht eine Kultur des verantwortlichen Miteinanders pflege, werde ich recht zügig vor abstrusen Firmenphilosophien oder Unternehmensgrundsätzen kapitulieren müssen. Die Schwierigkeit besteht eben nicht darin, Mitarbeiter, die von Gs. Überwachungsneurose heute belästigt werden, davon zu überzeugen, sondern G. vor sich selbst zu schützen. Dazu ist eine Offenheit notwendig, in der die Arbeit an einem grundsätzlichen Wertediskurs möglich ist. Und wenn es passt, hole ich mir an dieser Stelle den Philosophen an Bord, der ein wenig die Geschichte der Ethik durchleuchtet. Dann offenbart sich auch die Kehrseite einer jeden Scheintransparenz als ins Schöne gewandte Überwachung und Kontrolle.