Von Winterdepression will ich ja gar nicht reden. Es ist mittlerweile in Gemeinplatz, dass bestimmte Stoffe in unserem Körper bei Lichtmangel dafür Sorge tragen, dass die Müdigkeit und Trägheit in unser empfindliches Gewebe von Psyche und Körper dringen, es unterwandern und gelegentlich Antriebslosigkeit zur Folge haben.
„Unser aktueller Großauftrag ist von Kundenseite ins Stocken geraten. Ich warte auf Entscheidungen zur weiteren Durchführung“, schilderte mir C., als ich ihn am Rande eines Meetings traf. Das lege seinen kompletten Workflow lahm, da er auf die Schnelle nur kleinere Projekte abwickeln könne. An die finanziellen Folgen denke er weniger, aber es behage ihm nicht, dazusitzen und auf der Beobachterposition peu a peu müde zu werden. „Auf Langeweile folgt Lethargie.“ Das jedenfalls behauptete C. mit dem Hinweis darauf, dass die kalte Jahreszeit die Lage noch zuspitze. „Wäre meine Firma größer, führte ich Kurzarbeit ein.“ Ein grauer schwerer Schleier liege derzeit über dem Büro. Die Stimmung werde von einer zähen Gleichgültigkeit geprägt. Wer nicht auf Schulferien angewiesen sei, nehme sich Urlaub. „Im Grunde das einzig Richtige. Denn wir hatten ein hervorragendes Frühjahr, so dass wir unsere Ablage ziemlich geleert haben.“
Die Schönheit sehen
Als ich das hörte, ging mir folgendes Bild nicht mehr aus dem Kopf. Als ich noch klein war, an das genaue Alter erinnere ich mich nicht, aber es war einstellig, saß ich mit den Knien auf der Küchenbank und starrte aus dem Fenster. Draußen war es ziemlich ungemütlich. Der Wind trieb den Dauerregen an die Scheibe. In Schlieren lief er herab. Mal blickte ich in den Himmel, den ich gelbgrau in Erinnerung habe. Dann richtete ich meine abwesende Konzentration auf das Wasser an der Scheibe. Es hat mich fasziniert, zu beobachten, dass es zu kleinen Sammlungen kam, die einen Tropfen formten, der dann zu übergewichtig wurde, um an der Position verharren zu können und somit folgerichtig am Glas herabrann. Das passierte unzählige Male kreuz und quer über die gesamte Fläche hinweg. Immer wieder sprang das Auge hierhin und dorthin, blieb haften und verlor sich erneut in einer anderen dieser haltlos-flüchtig-flüssigen Zauberkugeln. Obschon ich mich bei diesen Betrachtungen enorm langweilte, fühlte ich mich dennoch auf unbestimmte Weise recht wohl in meiner Haut. In der Rückschau kommt es mir vor, als habe ich ganze Tage so verbracht, was bei meinem Tatendrang sicher nicht so war. Heute möchte ich gern interpretieren, die Schönheit gesehen zu haben. Ob es wirklich so ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Schließlich sind diese Tage schon so lange vergangen.