Lärmbelästigung
Als ich das erste mal mit Foodporn (einem Vorläufer des Businessporn) konfrontiert wurde, saß ich in einem Restaurant und bestellte mir gerade ein 7-Gänge Menü. Ich hatte schon länger den Wunsch gehegt, ein von einem Sternekoch kredenztes Menü genießen zu dürfen. Ich war dazu an die Mosel gefahren, hatte in dem dem Restaurant angegliederten Hotel eingecheckt, und begab mich dann gegen 18.00 Uhr in den Speisesaal. Das Restaurant war schlicht, aber gemütlich, eingerichtet und die Tische, alle belegt, standen soweit auseinander, dass ich das Gefühl von Privatheit verspürte.
Ich saß allein am Tisch, was für den Kellner, der mir zugeordnet war, ungewöhnlich war. Er bot mir, um die Zeiten zwischen den Gängen zu überbrücken, Zeitschriften an. Dankend lehnte ich ab.
Pling. Links hinter mir konnte ich deutlich den akustischen Hinweis über den Eingang einer Nachricht hören. Pling. Wieder hörte ich den Signalton. Ich drehte mich um und konnte gerade noch sehen, wie ein älterer Herr seinen Teller und die darauf befindliche Speise mit seinem Taschentelefon fotografierte, dann mit einem kontrollierenden Blick die Aufnahme prüfte und sodann an einen mir unbekannten Empfänger sendete.
Pling. Wieder eine Nachricht. Diesmal von links. Ich ließ mir die Laune nicht verderben, erduldete das Gebimmel und genoss das vorzügliche Mahl. Bis heute weiß ich nicht, warum Menschen Foodporn betreiben, aber ich weiß, dass schon viele schlaue Köpfe darüber nachgedacht haben.
Sein Innerstes nach außen kehren
Mit dem aufkommen der GenZ, vielleicht auch schon davor, beobachte ich einen neuen Trend. Auf den Plattformen (wie Linkedin) mehren sich Beiträge, die einem Seelenstriptease gleichkommen. Menschen (oder sind es doch nur Bots?) aller Geschlechter, Hautfarben und Alters, posten Beiträge, die zum Großteil der Liste der psychischen und Verhaltensstörungen nach ICD-10 entstammen:
- Depression
- Minderwertigkeitsgefühl
- ADHS
- Persönliche Schicksalsschläge
- Unfälle
- Bulimie
- Mangel an Selbstvertrauen
- Burn out
- Scheitern
- Inkompetenz
- Impostor-Syndrom
- Demenz
- Unfruchtbarkeitsdiagnose
- Geschlechtsumwandlung
- Krebsdiagnose
Ich erfahre auf den Plattformen von seelischen und gesundheitlichen Zuständen, die früher ein behütetes Gut waren. Und die man nur mit Menschen seines Vertrauens besprach. Sind die Plattformen jetzt der Freund / die Freundin (der Coach / die Psychotherapeutin), der man/frau alles anvertraut? Und warum teilt mir die Plattform diese Zustände mit? Was treibt Menschen an, ihr Seelenleben vor aller Welt auszubreiten?
Businessporn
Wenn ich mir die Posts auf den Plattformen bis zum Ende durchlese, was ich tue, dann muss ich gestehen, dass meine Vermutung dahin geht, dass das ausbreiten des Seelenzustands wohl Mittel zum Zweck ist. Seelenstriptease gegen Auftrag / Aufmerksamkeit / Klicks und Likes. Ein fragwürdiger Kuhhandel, wie ich meine.