Ach, die Kontrollüberzeugung! Die Psychologie hat uns wieder ein schönes Konzept geschenkt, das die Welt in zwei ordentliche Schubladen sortiert. Da gibt es die Menschen mit „externer Kontrollüberzeugung“ – die glauben, dass Glück, andere Menschen oder äußere Umstände ihr Leben bestimmen. Angeblich führt das zu Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Widrigkeiten, geringerem Selbstwertgefühl und gesundheitlichen Problemen. Klingt dramatisch, oder?
Und dann gibt es die Helden mit „interner Kontrollüberzeugung“ – die wissen, dass ihre Handlungen direkten Einfluss auf ihre Ergebnisse haben. Diese Menschen werden mit gesteigerter Resilienz, beruflichem Erfolg und besserem psychischen Wohlbefinden belohnt. Intern oder extern – als wäre das Leben ein Lichtschalter, den man einfach umlegen könnte.
Ich sitze hier mit meinem Kaffee und denke mir: Was ist denn mit uns Menschen, die gleichzeitig wissen, dass wir unser Leben gestalten können UND dass uns morgen ein Ziegel auf den Kopf fallen könnte? Die am Morgen ihre Taijiquan-Form laufen und dabei spüren, wie wenig sie eigentlich kontrollieren – außer vielleicht, ob sie beim Üben umfallen oder nicht.
Die Liste der positiven Effekte der „internen“ Variante liest sich wie das Versprechen eines Lebenscoaches, der gerade seine Zertifizierung gemacht hat. „Gesteigerter beruflicher Erfolg!“ – als ob die Welt nur darauf gewartet hätte, dass wir endlich fest genug an uns glauben. Und die „externe“ Variante klingt, als hätte jemand alle Menschen beschrieben, die je in einem Wartezimmer saßen und sich fragten, warum sie dort sind.
Mir fällt auf: Beide Kategorien ignorieren die schöne Ambiguität des Menschseins. Wir sind Wesen, die ihre Socken bewusst sortieren können und trotzdem nicht wissen, warum sie jeden Morgen aufstehen. Die planen und träumen und dann vom Wetter überrascht werden.
Vielleicht ist die wahre Weisheit, beide Überzeugungen gleichzeitig zu halten – wie ein Zen-Koan des Alltags. Ich kontrolliere, also bin ich. Ich werde kontrolliert, also bin ich. Und dazwischen liegt das Leben, unberechenbar wie ein Kätzchen auf Koffein.
Fußnote für die Wissbegierigen unter uns
Wer sich tiefer in die Untiefen der Kontrollüberzeugung¹ stürzen möchte – sei es aus wissenschaftlicher Neugier oder um endlich zu verstehen, warum manche Menschen glauben, sie könnten das Wetter durch positive Gedanken beeinflussen – dem seien folgende Quellen empfohlen:
¹ Das Konzept geht auf Julian B. Rotter zurück, der 1966 weniger philosophisch war als ich heute. Für fundierte Erklärungen siehe:
Manchmal ist es ganz hilfreich, wenn andere schlauer waren als man selbst. Auch das ist eine Form der Demut.