Zwischen intellektueller Gymnastik und echtem Perspektivenwechsel
Neulich las ich auf LinkedIn einen Beitrag, in dem folgender Prompt promoted wurde:
Sei mein Sparrings Partner und unterstütze mich, meine Meinung zu ändern. Meine Meinung über folgendes Thema [XY] ist wie folgt: [Persönliche Haltung eingeben und spezifizieren]. Liefere mir fundierte, nachvollziehbare, gut erklärte Gegenargumente zu meiner Sichtweise. Fordere mich in meinem Denken heraus. Scheue nicht die gedankliche Konfrontation mit mir.
Ein ambitioniertes kleines Ding. Kurz, knackig, und mit dem subtilen Versprechen geistiger Erleuchtung. Als würde man in die intellektuelle Sauna einladen – erst schwitzen, dann Erfrischung.
Der Prompt öffnet die Tür zum kontrollierten Widerspruch. Ein Luxusartikel in Zeiten der Echo-Kammern. „Fordere mich in meinem Denken heraus“ – fast schon romantisch, diese Sehnsucht nach dem kognitiven Ringkampf. Besonders die Forderung nach „fundierten, nachvollziehbaren“ Argumenten zeigt Klasse. Keine billigen Tricks, bitte. Der Geist will würdig besiegt werden.
Allerdings – jeder KI-Sparringspartner bleibt nur so gut wie seine Fähigkeit, tatsächlich zu widersprechen. „Scheue nicht die gedankliche Konfrontation mit mir“ klingt heroisch. Doch manchmal liefert die KI statt Konfrontation nur höflich verpackte Bestätigung. Und die implizite Bitte um „Quellen“? Ein frommer Wunsch an einen Partner, der Fakten manchmal eher erfindet als findet.
Im Business-Coaching könnte dieser Prompt entweder Revolution oder teure Selbsttäuschung bedeuten. Führungskräfte könnten mit „Liefere mir fundierte, nachvollziehbare, gut erklärte Gegenargumente“ ihre Strategien testen, bevor sie im Boardroom zerpflückt werden. Eine Art Impfung gegen peinliche Denkfehler. Doch die Gefahr: Man erhält vielleicht nur die Illusion der Herausforderung. Ein intellektuelles Sparring, bei dem beide Seiten insgeheim wissen, wer gewinnen soll.
Der moderne Coach blickt in einen Abgrund, wenn der Kunde verkündet: „ChatGPT macht das für 20 Euro im Monat.“ Existenzkrise mit Flatrate-Bedrohung. KI-Modelle sind die neuen Cool Kids im Coaching-Block. Sie schlafen nie, urteilen selten und rechnen keine Anfahrt ab. Perfekt für alle, die geistige Herausforderung ohne menschlichen Augenkontakt bevorzugen. Die Auswirkungen? Verheerend für jene, die nur Reflexionsfläche bieten. Befreiend für diejenigen, die mehr verkörpern als ein gut formulierter Prompt.
Überlebensstrategien für den bedrohten Coach-Habitus:
Die unbequeme Wahrheit: Manche Coaching-Praxis wird tatsächlich sterben. Jene, die sich auf das Abrufen vorgefertigter Weisheiten spezialisiert hat. Doch wo Leben endet, beginnt Evolution. Der Coach der Zukunft wird nicht trotz KI, sondern mit ihr brillieren – als Kurator digitaler Einsichten und menschlicher Komplexität.
Die Frage ist nicht, ob KI das Coaching verändert, sondern welche Coaches sich schnell genug verändern.
Dieser Prompt ist wie ein teures Schweizer Messer – beeindruckend anzusehen, praktisch für viele Situationen, aber kein Ersatz für eine vollwertige Werkstatt.
„Sei mein Sparrings Partner“ funktioniert nur, wenn beide Seiten die Regeln des Spiels verstehen. Die Bitte, „meine Meinung zu ändern“, setzt voraus, dass man tatsächlich bereit ist, sie zu ändern – eine seltene menschliche Eigenschaft.
Für Coaches bleibt die Herausforderung, jenseits der wohlklingenden Aufforderung zur „gedanklichen Konfrontation“ echte Transformation zu ermöglichen.
Manchmal ist ein guter Prompt eben wie ein guter Witz – elegant formuliert, aber die wahre Kunst liegt im Timing und in der Nachbereitung.